Wie werden wir in Zukunft Kälber halten (müssen)?
21. Juni 2022
Beim 39. Rindergesundheitstag des Innovationsteams Milch Hessen diskutieren Experten aus 3 Ländern zu aktuellen und zukünftigen Herausforderungen der Jungviehaufzucht.
Prof. Nina Keyserlingk (Kanada, UBC in Vancouver), Prof. Robert James, Emeritus, Virginia Tech University (USA) und Enno sowie Lukas Bremer aus Visselhövede (Landkreis Verden) stellten die Anforderungen heutiger Kälber aus unterschiedlichen Blickwinkeln dar und zeigten Wege auf, wie auch in Zukunft erfolgreiche und rentable Kälberaufzucht aussehen kann.
In Zukunft metabolische Programmierung nutzen.
Während weltweit die meisten Kälber mit Eimertränke und täglich nicht mehr als 6 Liter pro Tag im Prinzip „großgehungert“ werden, sehen alle Experten dieses Modell als nicht mehr zukunftsträchtig an. Kälber müssen immer mehr in Anlehnung an die Erkenntnisse aus der Muttertierhaltung gefüttert werden. Das bedeutet, dass sie in den ersten Lebenswochen mindestens 10 Liter Milch bekommen sollten und dass man den Effekt der metabolischen Programmierung in Zukunft unbedingt nutzen sollte, um nicht mehrere hundert Euro, wie leider in noch viel zu vielen Betrieben üblich, ungenutzt liegen zu lassen.
Pärchenhaltung wird Standard werden.
Die paarweise Haltung, da sind sich die Experten ebenfalls einig, wird in wenigen Jahren absehbar die Standard-Haltungsform für Tränkkälber werden. Zu eindeutig sind die Forschungsergebnisse, die Prof. Keyserlingk vorstellte. Aber auch denkbar ist, dass die Verbraucher noch eine Stufe weiter gehen werden in ihrer Vorstellung und Forderung nach einer noch artgerechteren Haltung: Dem Wegfall der Trennung von Kuh und Kalb und die gemeinsame Haltung beider, wie aus Studien aus ihrem Institut hervorgeht. Keyserlingk mahnt von daher, sich proaktiv damit zu beschäftigen und bis verlässliche Studienergebnisse zum Thema vorliegen, dem Verbraucher zumindest zu zeigen, dass man nach derzeit gültigem Wissen seine Kälber verantwortungsbewusst und artgerecht großzieht.
Wer investiert, der profitiert.
Prof. Robert James zeigte noch enorme Potentiale in der Kälberaufzucht auf. So wird das Potential der Kolostrumfütterung noch nicht vollständig im Rahmen der metabolischen Programmierung ausgeschöpft. Auch wird selten auf Temperaturänderungen in der Tränkemenge reagiert. Dabei nimmt sowohl nach unten (kälter als 20 Grad Celsius) als auch darüber der Bedarf um mehr als 10 % zu.
James erteilte auch der kosteneinsparenden Aufzucht eine Absage. Viel besser und ökonomischer wäre es, die Aufzucht an den Kosten pro Einheit Wachstum festzumachen. Alles was in der Tränkephase investiert wird, rechnet sich später in der Laktation um ein Vielfaches, so James weiter.
Effizienz gewinnt an Gewicht.
Die Vorteile der automatisierten Tränketechnik werden sich laut James weiter durchsetzen, weil sie neben der Arbeitszeitersparnis vor allem auch die Krankheitsfrüherkennung wesentlich genauer und effektiver machen ermöglichen.
Familie Bremer aus Visselhövede betreibt neben dem fast 1000 Milchkühe umfassenden Milchviehbetrieb einen separaten eigenen Aufzuchtbetrieb. Jährlich werden dort rund 700 Färsen aufgezogen und sehr rentabel vermarktet. Das ist möglich, weil viel Wert auf Arbeitseffizienz gelegt wird. So ist eine Arbeitskraft (AK) für 440 Tiere zuständig. Die Kälber werden 3 Wochen ad libitum mit Vollmilch und Milchaustauscher versorgt und mit 8 Wochen vollständig abgetränkt. Die Tiere bleiben aber noch weitere drei Wochen in Einzelboxen, um nicht zwei Stressoren auf einmal auf die Tiere einwirken zu lassen. Anschließend geht es in Sechsergruppen in den Gruppen-Strohstall bis zum 6./7. Lebensmonat, ehe die Tiere dann in Laufstallhaltung in 2er Hochboxen-Reihen auf planbefestigten Beton umgestellt werden und auf ihre Besamung warten.
Bremers wiegen ihre Tiere regelmäßig und erzielen eine kontinuierliche Gewichtszunahme ohne Rückschläge. Damit kommen die Färsen schon im Schnitt mit 12 Monaten zur Besamung und mit 21/22 Monaten zum Kalben. Somit vermarktet Familie Bremer mehr als die Hälfte ihrer Färsen direkt bzw. über Auktion und erzielen regelmäßig gute Erlöse wegen deren Einheitlichkeit.
Fazit
Kälberaufzucht ist eine Investition in die Zukunft. Das erfordert ein gewisses Umdenken im Betrieb. Vieles von dem Potential, was in den Kälbern steckt, wird derzeit auch weltweit immer noch noch nicht komplett umgesetzt. Automatisierte Tränketechnik wird sich immer mehr durchsetzen, nicht nur wegen der kontrollierten Fütterung, sondern vielmehr auch wegen der verlässlichen Früherkennung von Krankheiten. Was die Haltung angeht, werden wir in Zukunft die größten Veränderungen erleben dürfen: Paarweise Haltung von Kälbern wird mittelfristig zum Standard werden. Inwieweit sich die extreme Form der Unterlassung der Trennung von Kuh und Kalb nach der Abkalbung durchsetzen wird, bleibt abzuwarten. Noch fällt uns ein solches Szenarium schwer, noch fehlen wissenschaftliche Erkenntnisse, die ein solches System wirtschaftlich mindestens als ebenbürtig beurteilen. Aber klar ist auch: Der Verbraucher hat am Ende die Entscheidungsgewalt und könnte so noch für die eine und andere Überraschung herbeiführen.
Wir sehen uns! Euer Kälberblogger Peter Zieger
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