A2-Milch Studien hinterfragen
Die Entwicklung der neuseeländischen A2 Milk Company ist erstaunlich. Während deren Aktienkurs vor fünf Jahren noch bei 0,31 EUR pro Stück lag, kostet eine Aktie heute 10,85 EUR. Der Wert ist somit inzwischen 35 Mal so hoch! Wer Anfang des Jahres 2015 A2-Milch-Aktien um 1.000 EUR gekauft hat, der könnte sie heute um 35.000 EUR verkaufen. Kein Wunder also, wenn das Thema A2-Milch auch den europäischen Milchmarkt beeinflusst. Inzwischen haben sich auch hier Landwirte an die Produktion dieser Spezialmilchsorte angepasst.
Seit zwei Jahren gibt es reine A2-Milch auch in den Kühlvitrinen der österreichischen Geschäfte, produziert von zwei Landwirten aus Oberösterreich. Die Verpackung ziert die Aufschrift: „Dein Bauch sagt ja!“ – Klingt gut. Aber was steckt dahinter? Sicher ist, dass bei der Verdauung von A1-beta-Casein im Darm das Eiweißbruchstück beta-Casomorphin-7 (BCM-7) freigesetzt wird. Verschiedene wissenschaftliche Studien sehen eine Verbindung zwischen dem Verzehr von A1-beta-Casein und einem erhöhten Risiko für einige nichtübertragbare Krankheiten. Andere Studien weisen auf positive Wirkungen von A2-beta-Casein (A2- Milch) auf die Verdauung hin.
Vorhandene Studien unter die Lupe genommen
Was davon zu halten ist, haben sich die Forscher vom Kompetenzzentrum für Ernährung der LfL Bayern anhand einer aktuellen Literaturstudie angesehen, die im September 2019 veröffentlicht wurde. Die wissenschaftliche Leiterin Christine Röger stellte die Ergebnisse auch auf der ersten österreichischen A2-Milchtagung Ende Februar an der HBLFA Raumberg-Gumpenstein in der Steiermark vor. Sie sagt: „In wissenschaftlichen Datenbanken, in Studienregistern und im Internet haben wir Humanstudien recherchiert, die auf einen Zusammenhang zwischen dem A1- und/oder A2-Milch-Verzehr und verschiedenen gesundheitlichen Störungen in Menschen hinweisen.“ Insgesamt hat das deutsche Forscherteam 21 Studien im Detail untersucht und wissenschaftlich bewertet (siehe Abb.).
Widersprüchliche Ergebnisse im Umlauf
Die elf als besonders aussagekräftig geltenden randomisiert-kontrollierten Studien (RCTs) untersuchten, ob der Verzehr von A1-Milch mit bestimmten Erkrankungen in Verbindung steht. Im Falle von Herz-Kreislauf-Erkrankungen zeigten sich keine wesentlichen Unterschiede zwischen der A1- und der A2-Milchgruppe. Bei Symptomen des Magen-Darm-Traktes zeigten die Ergebnisse der untersuchten RCTs eine leicht bessere Verträglichkeit von A2-Milch gegenüber A1-Milch.
Beweiskraft gering
In den untersuchten Fall-Kontrollstudien sah die Forschergruppe keine schlüssigen Ergebnisse. Dagegen zeigten die meisten ökologischen Studien – die lediglich Ländervergleiche vornehmen und zu den am wenigsten aussagekräftigen Studien zählen – eine Verbindung zwischen der Aufnahme von A1-beta-Casein (A1-Milch) und den jeweils untersuchten Gesundheitsrisiken. Röger warnt: „Da alle von uns untersuchten Studien Mängel aufwiesen, ist die Beweiskraft der Ergebnisse als gering bis sehr gering einzuschätzen.“
Einige der untersuchten Studien fanden Hinweise darauf, dass der A1-Milchverzehr verschiedene neurologische Störungen begünstigen könnte. Andere Studien konnten dagegen keinen derartigen Zusammenhang feststellen.
Auch im Falle von Typ-1-Diabetes waren die Ergebnisse widersprüchlich. Einige sprechen für einen möglichen Zusammenhang mit dem A1-Milchverzehr, andere sehen hier keinen Zusammenhang. Röger sagt: „Alle Ergebnisse zu neurologischen Störungen, zu Magen-Darm-Symptomen und zu Typ-1-Diabetes sind nur sehr wenig verlässlich.“
Beeinflusst Milch die Anfälligkeit für Krankheiten?
In einer Studie sahen Wissenschaftler einen Zusammenhang zwischen dem Auftreten von „Multiplen Myelomen“ (einer Form von Blutkrebs) und dem Verzehr von A1-beta-Casein.
Bei Asthma sahen sie keinen Zusammenhang mit dem A1-Milchverzehr. Wie schon bei den zuvor genannten Studien stuften die bayerischen Wissenschaftler die Ergebnisse dazu als sehr wenig verlässlich ein.
Eine Studie untersuchte die Erholungszeit der Muskeln nach dem Verzehr von A1- oder A2-Milch. Beide Milchtypen – also A1 und A2 – konnten die Erholungszeit verkürzen. „Allerdings haben wir auch hier die Vertrauenswürdigkeit der Ergebnisse nur mit niedrig eingestuft“, fügt die Forscherin hinzu.
Mangelnde Datenqualität
„Die vorliegenden Daten unterstützen bisher keine Empfehlungen, die zu einer vermehrten Aufnahme von A2-Milch und zu einer Eliminierung von A1-Milch raten“, fasst die Studienleiterin zusammen. Aus den Ergebnissen der untersuchten Studien konnte keine klare Beziehung zu einer gesundheitlichen Störung festgestellt werden. In den Studien wurden zudem keine Krankheiten untersucht, sondern nur Parameter (z.B. ein erhöhter Cholesterinspiegel), die Risikofaktoren für bestimmte Krankheiten sind.
Zudem lässt sich aufgrund industrieller Finanzierung ein ökonomischer Einfluss auf einige Studienergebnisse nicht gänzlich ausschließen. 15 der untersuchten Studien wurden von der Industrie gefördert – alleine 13 davon vom neuseeländischen Unternehmen The A2 Milk Company. Neun Studien machten keine Angaben zur Finanzierung.
Die Gründe für die niedrige Vertrauenswürdigkeit sehen die bayerischen Forscher in Mängeln im Studiendesign, in der Durchführung oder in der Auswertung der Studien. Röger fasst zusammen: „Es kann deshalb zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine Empfehlung für die A2-Milch ausgesprochen werden. Um tatsächliche Empfehlungen aussprechen zu können, sind weitere Studien am Menschen mit aussagekräftigeren Studiendesigns nötig, die eine höhere Datenqualität liefern.“
Karin Taferner