Die Sprache – Chance und Risiko in Einem
Dipl.-Päd. Ing. Josef Weber hat als Referatsleiter Milchwirtschaft in der Landwirtschaftskammer Niederösterreich in mehr als 40 Jahren landwirtschaftlicher Beratertätigkeit die Sprache als wichtigstes Handwerkszeug mit Begeisterung genutzt. Die Verwässerung oder gar bewusst falsche Verwendung von Worten und Begriffen bekämpft er, wo er kann. So ist Milch eben Milch und ein Getränk aus Soja ist ein Sojagetränk und nicht mehr. Die Deutsche Molkerei Zeitung hat sich mit dem engagierten Pädagogen unterhalten.
Wie kommt ein Diplom-Pädagoge in die Landwirtschaftskammer und warum ist das gut so?
Josef Weber: Die NÖ Landwirtschaftskammer wurde am 22.2.1922 gegründet. Information, Beratung, Interessensvertretung sind die Hauptaufgaben. In den letzten Jahren haben auch die Betreuung, Bildung, Förderung eine große Bedeutung erlangt. Ich bin 1981 in die Beratung der Milchbauern eingestiegen. Die Ausbildung zum Pädagogen machte ich erst in den Jahren darauf. So kann ich auch in Landwirtschaftlichen Fachschulen im ganzen Land bei der Facharbeiter- und Meisterausbildung mein Wissen und die Erfahrungen praxisorientiert einbringen. Kreativität, Ideenreichtum, Flexibilität, Begeisterung und Motivation sind im ganzen Leben gute Begleiter.
Das Pädagogik-Studium war somit eine Weiterbildungsmaßnahme, was war die Grundausbildung?
Josef Weber: Angefangen hat alles mit dem Aufwachsen in einem landwirtschaftlichen Betrieb. Eine kleine Landwirtschaft mit ein paar Kühen. Die eigentliche Ausbildung habe ich dann am „Franciso Josephinum – höhere Bundeslehr- und Forschungsanstalt für Landwirtschaft, Landtechnik und Lebensmittel- und Biotechnologie“ in Wieselburg gemacht. Dort ist auch meine Begeisterung für die Milchwirtschaft entstanden. Nach der Matura dort und der Aufnahme in die Landwirtschaftskammer habe ich das in Wieselburg erworbene Wissen in diversen Kursen weiter vertieft.
Was sind Ihre Aufgaben in der Kammer?
Josef Weber: Als Leiter des Referates Milchwirtschaft bin ich bemüht, alle Themen rund um die Milch bestens zu bearbeiten. Dabei steht das Interesse der Milchbauern des Landes stets im Mittelpunkt. Die Kernaufgabe ist die milchwirtschaftliche Beratung. Der Weg der Milch von der Wiese bis zum Frühstückstisch beschreibt den Aufgabenbereich sehr treffend. Die Erstellung von Beratungsunterlagen, die Interessensvertretung in zahlreichen Gremien, das Erreichen möglichst vieler Zielgruppen und die Kommunikation mit und über die Medien sind sehr herausfordernde, abwechslungsreiche Tätigkeiten. Mit dem MilchNewsletter werden seit 1999 zahlreiche Milchlieferanten aktuell informiert.
Wie viele Lieferanten erreicht der in welchem Rhythmus und welche Neuigkeiten werden da transportiert?
Josef Weber: Den Newsletter gibt es seit 2001. Er erscheint im Schnitt monatlich, da habe ich mich nicht festgelegt, das ist abhängig von den Neuigkeiten. Ein Drittel sind niederösterreichische Neuigkeiten, ein weiteres Drittel befasst sich mit Österreich und der Rest kommt aus aller Welt. Die Idee dahinter ist, den Landwirten ein gewisses Marktverständnis näher zubringen, indem wir den Lesern die Zusammenhänge klarmachen zwischen Ereignissen z.B. in Neuseeland und Auswirkungen auf die internationalen, nationalen und regionalen Märkte. Der Newsletter geht an ca. 5.000 Lieferanten und zahlreiche Multiplikatoren wie Fachschulen, Molkereien und Wissenschaftler.
Was sind nach Ihrer Ansicht die heutigen Herausforderungen der Märkte an Milcherzeuger, -verarbeiter und Vermarkter?
Josef Weber: Zunächst ist eine regelmäßige Marktbeobachtung der Milcherzeuger, Molkereien und Käsereien und Vermarkter eine Grundvoraussetzung. Jeder der Marktteilnehmer hat sich ständig die Frage zu stellen: Wie bewege ich den Markt? Qualitätsdenken und Wertschöpfung sind primär zu leben. Wer die Arbeit der Milchbauern und die Vielfalt und die Qualität der Milch und Milchprodukte nicht schätzt, wird auch nicht die Wertschöpfung erwirtschaften, die für alle Beteiligten in der Branche erforderlich ist. Ein gesättigter Markt, verlangt nach Diversifizierung. Dazu gehören Innovation, Kooperation und viel Öffentlichkeitsarbeit. Das erklärt auch, warum in Österreich bei einer Versorgungsbilanz 2018 bei Konsummilch von 164 % es über 30 verschiedene Milchsorten gibt. Alle Milchsorten sind zu 100 % gentechnikfrei gefüttert und zu 99,8 % erste Güteklasse. Ein guter marketingmix und ein starker Fokus auf Kinder und die Jugend ist europaweit für die Marktentwicklung bei Milchprodukten auch eine Herausforderung. Starke gesellschaftliche Veränderungen und viele „Fake News“ verunsichern und lassen zum Teil am Image von Milch und Milchprodukten zweifeln. Ein engagiertes und kompetentes Reagieren und Agieren der gesamten Milch- und Molkereibranche ist da dringend erforderlich.
„„Die Sprache hat Kraft und
Wirkung. Unsere Sprache kann uns stärken und schwächen.
Die gewohnte Ausdrucksweise vermittelt auch alte Denk- und Verhaltensmuster. Als Beispiel: „Man sollte das Produkt mehr
bewerben“ – wer ist „man“?“
Sorgt die Ausweitung der verschiedenen Qualitätsauslobungen, von der Heumilch bis zur Bergbauernmilch, beim Verbraucher nicht für zunehmende Verunsicherung im Hinblick auf die Frage, was jetzt die gute oder die beste Milch ist? Sollte nicht Milch an sich der Qualitätsbegriff sein?
Josef Weber: Das ist richtig, solche Verunsicherungen gab es und gibt es noch immer. Tatsache ist, dass die gesamte österreichische Milch gentechnikfrei, und zu 99,8 % erste Güteklasse, ist. Deshalb kann ich nicht von einer besonderen oder besseren Milch sprechen und damit andere Produkte diskriminieren. Ich wehre mich gegen Herabwürdigungen. Wenn jemand automatisch eine Milchsorte in den Himmel hebt, ist das eine Abwertung anderer Sorten, was oft noch durch die Deklaration von imaginären Vorzügen verstärkt wird. Deshalb muss, bei aller notwendigen Diversifizierung, der einheitliche Tenor sein: Alle Milchsorten, und damit die Milch im Allgemeinen, sind beste Qualität.
Inwieweit müssen wir bei der Lösung der Herausforderungen auf unsere Sprache achten und welche Auswirkungen kann es haben, wenn wir das nicht tun?
Josef Weber: Wer verantwortungsbewusst seinen Job macht, wird auf die Sprache achten. Die Sprache kann beleidigen, verletzen, Schaden anrichten, Neid schüren, falsch gewichten und manipulieren. Sie kann aber auch ermutigen, fördern, aufbauen, wertschätzen, liebenswürdig sein, bilden und erziehen.
Der Vorbildwirkung kommt dabei eine große Bedeutung zu, wie Karl Valentin treffend formuliert hat: „Wir brauchen unsere Kinder nicht zu erziehen, sie machen einem sowieso alles nach.“ Führungspersonen, Personen in Sitzungen und wer zu Multiplikatoren spricht, muss besonders auf die Sprache achten. Wir wollen einen höheren Milchpreis, einen besseren wirtschaftlichen Erfolg, mehr Absatz und reden doch von normaler, herkömmlicher oder gar von Industriemilch. Wir wissen, dass der Milchbezeichnungsschutz über 30 Jahre in der EU klar geregelt ist, und nehmen dennoch Wörter wie Sojamilch, Mandelmilch etc. statt Sojadrink und Mandeldrink etc. in den Mund. Die Auswirkungen von mangelhaftem Wording, nicht koordinierten Begriffen, nicht Leben des Bezeichnungsschutzes für Milch und Milchprodukte und fehlendes Reframing haben beachtliche Auswirkungen auf das Image, die Absatzentwicklung, die Wertschätzung und somit wieder der Wertschöpfung der gesamten Branche. Vom Milcherzeuger über den Erzeugerberater, dem Funktionär, der Verkaufsmannschaft bis zum CEO des Molkereiunternehmens – der gesamten Milchbranche – ist daher verantwortungsbewusst auf die Sprache zu achten.
Bedeutet das auch, dass unsere Art zu sprechen eventuell das Denken blockieren kann?
Josef Weber: Ja – natürlich. Dafür gibt es viele Beispiele. Nehmen wir das Wort Milchindustrie. In der österreichischen Gesellschaft, das wird bei Ihnen nicht viel anders sein, ist alles was Industrie und Konzern heißt groß, verteufelt und schlimm. Deshalb haben wir in Österreich auch keinen Milchindustrieverband. Wenn die Verbraucher Milchindustrie lesen und hören, denken sie an ganz etwas Großes, wo man nie wissen kann, was da alles gemixt wird. Deshalb sagt dann die Hälfte der Verbraucher: „Von so einer Industrie kaufe ich gar keine Milchprodukte, ich will was Gutes vom Bauern.“ Das ist auch der Grund warum die regionale Direktvermarktung einen starken Zulauf hat. Der Verbraucher hört also Industrie, hat sofort ein Bild, das ihn daran hindert zu hinterfragen, ob dieses große Unternehmen nicht vielleicht doch seine eigensten Interessen wie Lebensmittelsicherheit und gleichbleibende Qualität bei guten Preisen besser sicherstellen kann. Deshalb ist die Milchwirtschaft gut beraten, wenn sie sich damit beschäftigt, diese Rahmen in den Köpfen der Verbraucher wieder herauszubringen, auf neudeutsch Reframing betreibt. Eine realitätsbezogene klare Sprache ist dabei von großem Nutzen.
Sie sprechen gern vom „oberflächlichen Expertenwissen“ vieler Kunden, was meinen Sie damit?
Josef Weber: Die starken und schnellen gesellschaftlichen Veränderungen, verbunden mit den neuen Medien führen dazu, dass immer mehr Leute glauben, zu allen Themen über Expertenwissen zu verfügen. Viele reden mit, beeinflussen Entwicklungen und Regelungen, übernehmen jedoch keine Verantwortung. Forderungen zu stellen und ungerechtfertigte Schuldzuweisungen auszusprechen sind in Mode gekommen. Hintergründe, Zusammenhänge, Entwicklungen zu diesem Thema oder über ein Produkt werden ausgeblendet.
Hinterlässt da auch das Googeln seine Spuren?
Josef Weber: Ganz bestimmt auch. Das beginnt aber schon in der Schule. Im österreichischen Bildungssystem haben wir seit vielen Jahren große Diskussionen. Die Schüler müssen nicht mehr alles lernen, sie sollen in erster Linie wissen, wo sie was nachschauen können. Deshalb kennen sie sich auch beim Googeln und den digitalen Medien sehr gut aus. Sie finden viele Informationen schneller als die meisten Erwachsenen, prüfen diese „News“ aber kaum auf ihre Werthaltigkeit. Das führt dazu, dass sie wissen, aber nicht wissen, wie werthaltig dieses Wissen ist, oder wer diese Informationen aus welchem Grund ins Netz gestellt. Das führt dann zu Situationen wie bei einem Fußballspiel. Da wissen auch sieben Millionen Österreicher, wie der Schiedsrichter hätte pfeifen sollen und wen der Trainer hätte aufstellen oder auswechseln müssen. So geht es auch bei den Lebensmitteln. Alle wissen – vermeintlich, was einem gut tut, was ein gesundes Produkt ist oder nicht. Die Informationen kommen von Food- oder Gesundheitsbloggern, die mit ihren Texten irgendwelche Trends steuern oder beeinflussen wollen. So entsteht das „sehr oberflächliche Expertenwissen“. Wir sollten immer an den Spruch denken: „Ein Experte weiß von immer weniger immer mehr, bis er am Ende von nichts alles weiß, ein Universalist ist einer, der von immer mehr immer weniger versteht, bis er am Ende von allem nichts versteht.“ News und Fake News sind oft sehr verschwommen, das hat auch mit unserer insgesamt etwas oberflächlichen Lebensweise zu tun.
Wie müssen, nach Ihrer Meinung, Marketing- und Werbetexter heute mit der Sprache umgehen?
Josef Weber: Marketingmaßnahmen und Werbetexte müssen sehr gut getestet sein, müssen Aufmerksamkeit auf sich ziehen, um gewünschte Wirkungen zu erlangen. Eine wertschätzende, positive Sprache in Verbindung mit Kreativität und Innovation sowie Witz, Humor, Genuss und Lebensfreude wird sehr erfolgreich sein. Eine Sprache mit Erfahrungen, Realitätsbezug, einfachen Formulierungen und Ehrlichkeit sollte die Zukunft sein.