Zwischen Wunsch und Wirklichkeit
Die diesjährige Fachtagung des Bundesverbandes Rind und Schwein e.V. (BRS) lud zum Dialog und zur Lösungsfindung nach Leipzig ein.
Vor dem Hintergrund globaler Krisen und Konflikte wird viel über einen neuen Gesellschaftsvertrag für eine nachhaltige Landwirtschaft und eine neue Architektur der europäischen Agrarpolitik gesprochen. Die politischen Akteure sind dabei sowohl Getriebene als auch Impulsgeber für neue Auflagen sowie Treiber für deren Umsetzung. Auf der Fachtagung des Bundesverbandes Rind und Schwein e.V. (BRS) gingen renommierte Experten mit ihren Impulsvorträgen aus jeweils unterschiedlichen Blickwinkeln auf die verfahren wirkende Situation ein und gaben Anregungen zur Diskussion.
EU-Lebensmittelsystem als globaler Maßstab
Auf europäischer Ebene sorgen oft mit Vorgaben und Reglementierungen verbundene Zielsetzungen und Strategien für Unmut in der landwirtschaftlichen Praxis. Dabei seien die Vorhaben mitunter richtig und gut, aber in ihrer Ausgestaltung nicht zu Ende gedacht. Darauf machte Dr. Hans-Peter Schons, Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tierzüchter (ADT), der in Brüssel die Interessen der deutschen Tierhalter vertritt, in seinem Vortrag aufmerksam.
Mit dem »Green Deal« will die EU die Wirtschaft nachhaltig umgestalten. Für die Landwirtschaft sind dabei zwei Teilbereiche relevant: der Erhalt von Ökosystemen und Biodiversität sowie die Strategie »Vom Hof zum Teller«. Letztere soll eine nachhaltige Lebensmittelerzeugung sicherstellen. Das schließt die Überarbeitung der Tierschutzvorschriften einschließlich der für Transport und Schlachtung ebenso ein, wie die Schaffung neuer »Öko-Regelungen« als Finanzierungsquelle zur Förderung nachhaltiger Verfahren. Zudem sollen nachhaltige Verfahren in der Lebensmittelverarbeitung, im Handel und in der Verpflegungsdienstleistung sowie ein nachhaltiger Lebensmittelverzehr gefördert werden.
Insgesamt will die EU in einem kollektiven Ansatz, der Behörden, Wirtschaft und Verbraucher umfasst, das EU-Lebensmittelsystem zum globalen Maßstab machen. Dieser Ansatz, so Schons, sei einerseits plausibel, andererseits müsse sich erst zeigen, dass er funktioniert. Umgesetzt sind bislang nur wenige Maßnahmen, davon einige, die ohnehin gekommen wären, etwa die Empfehlungen an die EU-Länder zu ihren Strategieplänen für die Gemeinsame Agrarpolitik 2020 oder der Notfallplan zur Gewährleistung der Lebensmittelversorgung und der Ernährungssicherheit in Krisenzeiten (2021). Einiges ist in Arbeit, vieles steht noch aus. Zurückgezogen wurde die Verordnung zur nachhaltigen Verwendung von Pflanzenschutzmitteln (SUR). In den europaweiten Bauernprotesten im Winter drückte sich Schons zufolge neben Kritik an nationalen Problemen auch die Unzufriedenheit mit konkreten Inhalten der EU-Vorhaben aus. Agrarthemen seien dadurch zwar stärker ins Bewusstsein gebracht worden, dies ersetze jedoch nicht die fachliche Auseinandersetzung mit ihnen und die politische Entscheidungsfindung, die nun stattfinden müssten.
Insgesamt verfolgten die von der EU formulierten Ansätze wichtige Ziele, jedoch sei zum einen ihre Finanzierung nicht geklärt und die Planungssicherheit fehle. Zum anderen bleiben die großen Risiken der Tierhalter ungelöst, wie die Forderung nach Verringerung der Produktion und des Konsums tierischer Produkte. Fest stehe: Der Green Deal ist auf den Weg gebracht und wird die Tierhalter beschäftigen. Und dies nicht nur wegen politischer Weichenstellungen, sondern auch weil Verarbeitung und Handel das Thema Nachhaltigkeit vorantreiben. Die geplante Überarbeitung der EU-Tierschutzgesetzgebung sei vorerst auf unbestimmte Zeit verschoben, dürfte jedoch von der neuen Kommission rasch wieder aufgegriffen werden.
Die eierlegende Wollmilchsau im virtuellen Stall
Auf die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit im Verbraucherverhalten machte Dr. Daniel Kofahl in seinem Vortrag aufmerksam. Der Soziologe mit Schwerpunkt auf Agrar- und Ernährungsthemen stellte die Ergebnisse von Befragungen zum Einkaufsverhalten dem an den Absatzzahlen ablesbaren tatsächlichen Einkäufen gegenüber. Es seien »sozial erwünschte Antworten«, die in den Befragungen gegeben wurden. Zugleich formulierten die Verbraucher in Befragungen hohe Ansprüche an Landwirte, die nicht zu erfüllen seien. »Damit ist das Scheitern vorprogrammiert«, so der Soziologe, der darin das »Defizitempfinden« der Menschen gegenüber der Landwirtschaft erklärt sieht. Untersuchungen zeigten, dass die Menschen ihr Bild von der Landwirtschaft aus den Massenmedien erhalten. Die Medien aber funktionieren durch Dramatisieren und Zuspitzen. Dies machten sich NGOs zunutze, um ihre Daseinsberechtigung nachzuweisen. Nur durch gute und authentische Kommunikation aus der Branche heraus könne es gelingen, hier gegenzuarbeiten.
Kofahls Fazit lautete: Landwirte, Lebensmittelproduzenten und Lebensmittelhandel sehen sich in Deutschland mit einer doppelten Widersprüchlichkeit konfrontiert. So sagen Konsumenten bezüglich ihrer Konsumgewohnheiten das eine und tun das andere. Personen außerhalb der Landwirtschaft besitzen eine Vielzahl von Einstellungen zur Landwirtschaft. Sie haben immer weniger oder gar keinen Kontakt mehr zur Landwirtschaft oder zu Landwirten. So hat jeder zweite der in Berlin Befragten angegeben, noch nie Kontakt zu einem Landwirt gehabt zu haben. Ignorieren hilft aber nicht, da es ein multiples Abhängigkeitsverhältnis gibt, poltisch und ökonomisch. Aber die Landwirtschaft selbst kann keine eiereierlegende Wollmilchsau sein. Erfolgreiche Kommunikation zu hochmoderner Tierhaltung und Lebensmittelproduktion muss neben dem Know-How des Praktikers und der Faszination für technische Effizienz auch kulturelle, soziale und ästhetische Aspekte stärker berücksichtigen. Hochmoderne Landwirtschaft und Tierhaltung benötigt in einer zunehmend organisierten (Um-)Welt eine konstruktive Metaerzählung. Sie kann nicht durch pures »Faktenwissen« substituiert werden und benötigt stärker eine langfristige Perspektive. Es geht also um ein offenes Umgehen miteinander in der Gesellschaft.
Herausforderungen der Ernährungsindustrie
Über aktuelle Herausforderungen der Deutschen Ernährungsindustrie am Standort Deutschland und den Zusammenhalt ihrer Teilbranchen als Bedingung für erfolgreiches Lobbying sprach Oliver Numrich, Leiter für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie (BVE). Der Verband unterstützt so gut wie alles, was sich am Markt absetzen lässt. Das können tierische und pflanzliche Produkte wie auch vegetarische und vegane sein. Alles hätte seinen Markt, die Verbraucher müssten es nur kaufen. Dem BVE gehören 19 Fachverbände an. Da sind alle dabei, auch die der Fleisch- und Milchwirtschaft. Die Ernährungsindustrie sei sehr stark von den Energiepreisen abhängig, denn vieles müsse gekocht oder erhitzt, kühl gelagert oder eingefroren werden. Die Hersteller haben auch das Bedürfnis, ihre Erfolge bei der Nachhaltigkeit und beim Umweltschutz darzustellen. Das wird auch auf den Verpackungen gedruckt. Neu sei jetzt die Debatte um hochveredelte Produkte. So kommen immer mehr Probleme auf die BVE zu, wie die Kampagne ++Tierwohl, oder vegan und vegetarisch sind große Themen. Die Herausforderungen der gesamten Ernährungsindustrie beginnen schon mit den hohen Rohstoffpreisen. Infolge der Corona-Krise, des UkraineKrieges und der Auseinandersetzungen im Nahen Osten. So sind die Gas- und Strompreise stark angestiegen. Das mache das Trocknen und auch Gefriertrocknen von Obst, Gemüse und auch Suppen bedeutend teurer. Ebenso betrifft es auch die Erzeugung von Brot und Kuchen in Bäckereien. Deshalb seien schon einige Erzeugnisse ausgelagert oder Investitionen zurückgehalten worden.
Des weiteren nannte Numrich Folgendes: Insgesamt werden in Deutschland 218,5 Mrd. € für Lebensmittel umgesetzt. An erster Stelle stehen Fleisch und Fleischgerichte (21,5 Mrd. €) dann folgen Milch und Milchprodukte (17,1 Mrd. €) sowie Back- und Süßwaren. Sehr viele Produkte davon würden auch in den Export gehen. Der Selbsversorgungsgrad in Deutschland sei nur bei Fleisch, Milch, Kartoffeln, Zucker und Getreide gedeckt. Gemüse, Obst und sogar Eier müssten zu einem großen Teil importiert werden. Die Ernährungsindustrie bewertet ihre aktuelle Ertragslage überwiegend als schlecht bis befriedigend. Als Kostensteigerungen werden vor allem höhere Personalkosten sowie Ausgaben für Transport und Rohstoffe genannt. Auch die zunehmende Bürokratie würde die Unternehmen belasten. Drei Viertel der BVO-Mitglieder schätzen ein, dass sich ihre wirtschaftliche Situation in den nächsten zwei bis drei Jahren in Deutschland verschlechtern wird. Das sollte für alle ein Alarmsignal sein, dass die Politik nicht so weiter machen darf. Deshalb werden auch Wachstumsmärkte im Ausland gesucht. Die Hauptgründe dafür sind bessere Absatzchancen und weniger Regulierung.
Aktuelle Themen der europäischen Politik seien die Green Claims Directive (GCD), Verpackungsverordnung (PPWR) Sorgfaltspflichten Lieferkette (CSDDD), Berichterstattungspflichten (CSRD), Entwaldungsfreie Lieferketten (EUDR), Nachhaltigkeitsberichterstattungsstandards (ESRS) und Reduktion Lebensmittelverluste. In der bundesdeutschen Politik sind es daher: Kinder-Lebensmittel-Werbegesetz, Reduktionsstrategie (Zucker, Fett, Salz und Kalorien), Tierwohl (Abgabe Mehrwertsteuer), Förderung Bioprodukte und Ökolandbau, Preisbeobachtungsstelle, verbindlicher Eco-Score, Qualitätsstandards Gemeinschaftsverpflegung und Umsetzung von EU-Richtlinien.
Wie Oliver Numrich beteuerte, reagiert der BVE auf diese Kampagnen entsprechend. So versucht man auf bestimmte Kampagnen mit entsprechenden Webseiten wie www.lieber-mündig.de auch Anzeigen in bekannten Medien sowie mit Werbeplakaten auf Straßen für die Ernährungsindustrie entsprechend zu reagieren. Damit konnte man bereits gute Erfolge erzielen. Derzeit startet die Werbekampagne zur Europawahl www.lieber-zu-ende-denken.de. Da geht es mit entsprechender Illustration und lustigen Sprüchen um Milch, Fleisch und Wurst, aber auch um Tomaten, Zitronen, Salat, Senf, Hafer und Bier, also Lebensmittel für den deutschen Markt.
Chancen der Betriebe in schwierigen Zeiten
Den abschießenden Vortrag hielt Landwirt und Milchviehzüchter Dirk Hühne. Er bewirtschaftet den elterlichen Betrieb in dritter Generation mit Ackerbau (Raps, Getreide, Mais und Grünfutter) und 200 Milchkühen in Bergfeld, im nordöstlichen Schleswig-Holstein. Darüber hinaus ist er GbR-Partner beim Milchhof Gut Parchim im nordwestlichen Mecklenburg-Vorpommern, einem Betrieb mit 900 Kühen und 2.000 ha Land. Des Weiteren ist er Firmengründer der LAHH Freie Milch GmbH, einem Zusammenschluss von Milchproduzenten, die ihre Milch am freien Markt vertreiben. Mit anderen Landwirten ist er noch Anteilseigner der Landmolkerei Hagenow. Er ist zudem bekannter Züchter, dessen Tiere regelmäßig prämiert werden.
Nach seinen einleitenden Worten sind schwierige Zeiten ein dauerhafter Wegbegleiter der Milchviehhalter. Milchkrisen und Trockenheit sowie negative politische Entscheidungen wechselten einander ab. Um diese zu überstehen, sei positives Denken eine wichtige Voraussetzung. Dazu nannte Hühne Optimismus, Fleiß, Liebe und Leidenschaft (OFLL). So hat es auch für einen Landwirt keinen Sinn, ständig zu stöhnen. Da sei es sinnvoller, nach Lösungen zu suchen für den unternehmerischen Prozess für betriebswirtschaftliche Ansätze und für produktionstechnische Abläufe. Liebe und Leidenschaft für sein Produkt sollten ständiger Begleiter für den persönlichen Antrieb sein. Um Chancen zu erkennen, müssen vorhandene Prozesse ökonomisch und arbeitswirtschaftlich laufen und auch motivierte Mitarbeiter im Betrieb tätig sein. Wer für die Sache brenne, nehme auch seine Leute mit, darunter auch die Auszubildenden. Die Nachfolgegeneration sei schließlich ein wesentlicher Punkt für die Zukunft. Da hilft kein Stöhnen, sondern Optimismus ist angesagt.
Wichtig sei es auch, Chancen zu erkennen und neue Ideen zu entwickeln. Dazu müsse man mobil sein und sich bei den Besten seiner Branche umsehen. Da stellt sich auch die Frage: Wo geht die Reise in Deutschland und in der EU hin und was wollen die Verbraucher? Wichtig für Mikroökonomen, wie es die Milcherzeuger sind, sei auch die Überlegung, wie man den Takt vorgeben und Einfluss auf den Markt nehmen kann. Am Ende muss der Motor laufen und das sind die Produkte, die den Hof verlassen. Die Zukunft in der Landwirtschaft wird von den Bauern gestaltet.
Fazit
Abschließend stellten sich die Referenten zur Podiumsdiskussion und fassten ihre Vorträge noch einmal kurz zusammen. Vor dem Hintergrund globaler Krisen und Konflikte wurde nochmals über einen neuen Gesellschaftsvertrag für eine nachhaltige Landwirtschaft und eine neue Architektur der europäischen Agrarpolitik diskutiert. Die Referenten zeigten sich dabei vor allem als Impulsgeber für neue Auflagen sowie Treiber für deren Umsetzung. Der Spagat zwischen Wunsch und Wirklichkeit, wie das Tagungsthema lautete, war damit gelungen.
Fritz Fleege