Tierwohl um jeden Preis?
Bei der Mitgliederversammlung des Verbands der Milcherzeuger Bayern e.V. war Tierwohl das beherrschende Thema. Die bayerischen Milcherzeuger sorgen sich vor allem um ein mögliches Aushebeln der Anbindehaltung – für viele Bauern würde dies das Aus bedeuten. Dies zu verhindern liegt auch im Interesse der Molkereiindustrie.
Trotz den corona-bedingt widrigen Umständen fand auch dieses Jahr die Mitgliederversammlung des Verbands der Milcherzeuger (VMB) in Herrsching am Ammersee statt. Im Haus der Landwirtschaft trafen sich Anfang September Vorstand, Geschäftsführung, Delegierte und geladenen Gäste zur ersten Präsenzveranstaltung 2020.
In einem internen Teil am Vormittag wurden satzungsgemäß die Regularien, wie Jahresbericht und Rechnungsabschluss und -prüfung sowie ein Blick auf die aktuelle Milchmarktsituation abgehandelt.
Diskussion ums Tierwohl
Im öffentlichen Teil am Nachmittag lag der Fokus vor allem auf dem Vortrag von Dr. Alexander Hinrichs, dem Geschäftsführer der Initiative Tierwohl, und der Frage: „Wie geht es mit der Initiative Tierwohl weiter?“ Diese trieb dann auch die anschließende Diskussion voran, die zu teils sehr emotionalen Wortmeldungen führte. Die Anforderungen an die Erzeuger sind vielseitig – Verbraucher, NGOs wie Peta oder Greenpeace und der Handel drängen auf immer mehr Tierwohl und fordern damit einhergehend eine bessere Kennzeichnung. Viele Erzeuger können jedoch die geforderten Kriterien nicht so schnell umsetzen wie der Handel es wünscht, insbesondere dann, wenn Forderungen finanziell nicht ausreichend honoriert werden.
Die Initiative Tierwohl versucht hier zu vermitteln. Nachdem sie sich in den vergangenen Jahren überwiegend auf die Schweine- und Geflügelhaltung beschränkt hatte, geriet in den vergangenen Monaten die Rinderhaltung zunehmend in den Fokus. Ob und inwieweit die Milchviehhaltung in den Prozess integriert wird, steht noch nicht endgültig fest, VMB und ITW drängen jedoch darauf, die Haltungsformkennzeichnung vorerst nur auf Fleisch anzuwenden.
Die bereits seit 1. April 2019 geltende Haltungsformkennzeichnung für Schwein, Hähnchen, Pute & Rind erfolgt in vier Stufen:
Stufe 1: Stallhaltung
Stufe 2: Stallhaltung Plus
Stufe 3: Außenklima
Stufe 4: Premium
Die genauen Kriterien können unter www.haltungsform.de abgerufen werden.
Laut Hinrichs fordert der LEH – auf Drängen von Verbrauchern und NGOs – nun eine im Sinne des Tierwohls angepasste neue Einteilung der einzelnen Stufen und will perspektivisch im Handel mindestens Stufe 2 etablieren.
Voreilige Panik sei jedoch nicht angebracht. „Noch steht nicht einmal ansatzweise fest, dass es überhaupt so weit kommt. Der erste Entwurf wurde mit heißer Nadel gestrickt und ist viel zu früh nach außen gedrungen – das war unglücklich“, betonte Hinrichs. Er sollte lediglich als Diskussionsgrundlage für die Festlegung eines Kriterien-Katalogs dienen. Der Handel dränge auf Veränderung, darauf müsse sich die Branche einlassen. Aktuell wurde eine Arbeitsgruppe von ITW, dem QM-Milch und QS gebildet. Wichtig sei es zudem, die Gruppe mit Vertretern der Branche zu besetzen. Ausschlaggebend für die Debatte sei, dass die deutschen Bauern nun am selben Strang ziehen und eine gemeinsame Position vertreten, um in bevorstehenden Verhandlungen nicht vom LEH ausgehebelt zu werden, gab Isabella Timm-Guri vom Bayerischen Bauernverband zu bedenken.
Folgen für die Milchindustrie
Noch ist nicht klar, in welcher Stufe die kombinierte Anbindehaltung eingestuft wird. Sicher ist wohl schon, dass die reine Anbindehaltung in Stufe 1 landen wird. „Die Frage, die sich stellt, bleibt deshalb, wie man die Betriebe entsprechend weiterentwickeln kann“, gab Hinrichs zu bedenken.
Viele Milcherzeuger haben Angst aus dem Markt gedrängt zu werden, denn gerade die Anbindehaltung scheint für Verbraucher und Handel nicht mit Tierwohl vereinbar zu sein. Die Sorge der bayerischen Milcherzeuger: Setzt sich die vom LEH geforderte Kategorisierung und die damit verbundene Einstufung der kombinierten Anbindehaltung in Stufe 1 durch, würde das das Aus für ein Gros der Milchbauern im Allgäu und in Bayern bedeuten.
Denn rund die Hälfte aller bayerischen Milchbauern setzt aktuell auf reine Anbindehaltung. Eine schrittweise Umstellung auf eine kombinierte Anbindehaltung wird zwar in großen Teilen schon vorangetrieben, ist laut VMB-Vorsitzendem Wolfgang Scholz aber nicht in allen Betrieben möglich. Oft verhindern dies baurechtliche Rahmenbedingungen und örtliche Begebenheiten. Ziel muss es deshalb laut VMB sein, die kombinierte Anbindehaltung als Kriterium der Stufe 2 zuzulassen, um so zumindest Zeit für einen Umstieg zu gewinnen. Ansonsten drohen mit einem Schlag 3 Mrd. kg Milch wegzubrechen. Das entspricht einem Anteil von 10 % der gesamten Milchleistung. „Das kann sich der Handel gar nicht leisten“, warf Ludwig Huber vom Genossenschaftsverband Bayern ein. Sollten sich Handel und Erzeuger nicht einigen können, würde es höchstwahrscheinlich zur Partikulierung kommen.
Doch auch Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber stehe laut Aussage von Stefan Hiebl, Leiter des Referats „Milchwirtschaft“ des bayerischen Landwirtschaftsministeriums, hinter den Bauern. „Ministerin Kaniber ist im Gespräch mit dem LEH. Die Kombihaltung muss auch ihrer Meinung nach in Stufe 2.“
Wer in der Diskussion letztendlich die Oberhand gewinnt, wird sich zeigen.
Stefanie Mayr
„Noch steht nicht einmal ansatzweise fest, dass es überhaupt so weit kommt. Der erste Entwurf wurde mit heißer Nadel gestrickt und ist viel zu früh nach außen gedrungen – das war unglücklich“