Möglichkeiten fairer Preise auf dem Rohmilcherfassungsmarkt
Herausforderungen und Chancen auf dem deutschen Milchmarkt hat der Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft in einem Fachgespräch mit Sachverständigen erörtert. Niels Frank, Geschäftsführer der Unternehmensberatung Lademann & Associates, charakterisierte den Rohmilcherfassungsmarkt als atypisch, weil der Landwirt und Milcherzeuger sein Produkt, die Milch, den Molkereien andient. Die Milch werde von den Molkereien angenommen, der Preis im Nachhinein festgesetzt. Der Landwirt weiß nach den Worten Franks also nicht vorab, welchen Preis die Molkerei ihm bezahlen wird. Die Molkereien beteiligten die Landwirte am Verkaufserfolg der Produkte, das wirtschaftliche Risiko trügen aber die Landwirte.
Mit dem Artikel 148 der Gemeinsamen Marktordnung gibt es in der EU ein Instrument, das es den Mitgliedstaaten ermöglicht, in die Gestaltung der Lieferbeziehungen einzugreifen und Erzeugern und Molkereien vorzuschreiben, Verträge mit verbindlichen Preisen und Mengen zu vereinbaren. Aus Sicht Franks würde die vertragliche Vorab-Festlegung eines Preises, den die Molkerei an den Erzeuger zahlen muss, dazu führen, dass die Molkereien weniger Rohmilch abnehmen würden als zuvor, um ihr wirtschaftliches Risiko zu verringern.
Philipp Groteloh, Rechtsanwalt und Geschäftsführer der Milcherzeugergemeinschaft Milch Board, sagte, das derzeitige System stecke die Landwirte in ein Korsett. Die Landwirte wollten eine Wertschöpfung ihrer Produkte über den Markt und keine Abhängigkeit von Subventionen. Auch er hielt Alleinbelieferungspflichten im genossenschaftlichen Handel mit Preisfestsetzungen, die rund 70 Prozent aller Milchlieferungen betreffen, für problematisch. Der Preis bleibe derzeit 20 Prozent unter den tatsächlichen Kosten. In eine nationale Umsetzung des Artikels 148 sollten die Genossenschaften nach Meinung Grotelohs einbezogen werden, weil die derzeitigen Alleinbelieferungspflichten ein Wettbewerbshindernis seien. Kleine Bauern hätten die Möglichkeit, sich zu Erzeugergemeinschaften zusammenzuschließen. Möglich wären auch sogenannte Dreiparteien-Verträge von Erzeugern, Verarbeitern und dem Handel.
Peter Manderfeld, Vorstandsvorsitzender der Hochwald Milch eG, lehnte hingegen eine Umsetzung des Artikels 148 in Deutschland entschieden ab, weil dies aus seiner Sicht ein massiver Eingriff in die genossenschaftliche Satzungsautonomie wäre. Manderfeld warnte davor, sich für die Abschaffung des Genossenschaftsprinzips einzusetzen. Preisverhandlungen seien ein komplettes Wunschdenken, der Preis werde immer am Markt realisiert. Die Milchpreissteigerungen in der Vergangenheit hätten damit zu tun gehabt, dass der Exportmarkt leergefegt worden sei.
Ebenso sah Professor Holger D. Thiele vom Fachbereich Agrarwirtschaft der Fachhochschule Kiel den EU-Milchmarkt „aus wissenschaftlicher Perspektive“ als funktionierenden Markt, der durch die Weltmarktpreise geprägt sei. Den Einfluss des internationalen Marktes auf die Preise bezifferte er mit gut 80 Prozent. Thiele prognostizierte, dass die Molkereien vorab vereinbarte Preise mit einem Risikoabschlag versehen würden. Dem milcherzeugenden Betrieb wäre damit noch nicht geholfen.
Leonie Langeneck, Referatsleiterin Milch beim Deutschen Bauernverband, sah den Milchmarkt von Volatilitäten geprägt. Die Umsetzung des Artikels 148 würde diese Volatilitäten aus ihrer Sicht nicht aushebeln. Sie hätten eventuell eine Impulswirkung, dem aber ein hoher bürokratischer Aufwand durch die Kontrolle der neuen Verträge gegenüberstünde.
Reinhild Benning, Teamleiterin Landwirtschaft, Naturschutz und Biologische Vielfalt bei der Deutschen Umwelthilfe, verwies auf das Beispiel Spanien. Die dortige Gesetzgebung wirke nach Umsetzung des Artikels 148 auf eine Kostendeckung der Erzeugerpreise hin. Eine staatliche Behörde überwache, ob die Verträge anständig formuliert seien und sei berechtigt, Strafen auszusprechen. Bei Mehrfachverstößen könnten die Unternehmen öffentlich genannt werden, was sie motiviere, faire Preise zu zahlen. In Spanien seien die Milchpreise gestiegen, in Deutschland lägen sie unter dem europäischen Durchschnitt.
Elard von Gottberg, Diplom-Ingenieur und Leiter der Fiener Agrargenossenschaft im brandenburgischen Ziesar, verwies darauf, dass die Zahl der Milchviehbetriebe in Deutschland in den vergangenen zehn Jahren jährlich um vier Prozent gesunken sei. Das Problem sah er im Lebensmitteleinzelhandel und im Kaufverhalten der Endverbraucher. Die Betriebe würden immer weiter zu Rationalisierungen gezwungen. Man mache den eigenen Markt kaputt, weil dieser mit Milch geflutet werde.
pm