Milchbranche sucht Weg nach vorn
Corona, Klima, Kennzeichnung und Kriegsfolgen – Strategien für die Milch. Über diese Themen wurde auf dem 13. Berliner Milchforum heftig diskutiert.
Die Herausforderungen für die Milchbranche sind zahlreich und vielfältig. Die Anpassungsfähigkeit des Sektors hat sich während der Corona-Pandemie bestätigt und wird angesichts geopolitischer und daraus folgender wirtschaftlicher Verwerfungen weiter strapaziert. Hinzu kommen der Klimawandel und den Gestaltungsspielraum der Unternehmen weiter eingrenzende politische Leitplanken. Welche konstruktiven Lösungsansätze und Strategien gibt es, um diese Herausforderungen erfolgreich zu bewältigen? Diese Themen standen im Mittelpunkt des 13. Berliner Milchforums.
Milchpreise haben Zenit überschritten
Den ersten Vortrag auf dieser Veranstaltung hielt wie in den Vorjahren Monika Wohlfarth, Geschäftsführerin Zentrale Milchmarkt Berichterstattung GmbH. Ihr Thema lautete: Der Milchmarkt in unruhigen Zeiten. So war es nicht verwunderlich, dass das Milchaufkommen in den Exportländern zurückgegangen ist. Die hohe Nachfrage während der Corona-Pandemie und die Verunsicherung zu Beginn des Ukraine-Krieges haben allerdings die Inflation verstärkt und daraufhin die Milchpreise Ende vergangenen Jahres auf fast 60 ct/kg steigen lassen. Die hohe Inflation hat aber die Nachfrage im In- und Ausland gedämpft. So stieg mengenmäßig der Marktanteil für günstigere Produkte. Derzeit wird in Deutschland mehr Milch erzeugt als im Vorjahr. Der aktuelle Anstieg des Milchaufkommens wird aber nur ein kurzfristiger Mitnahmeeffekt und keine Trendwende sein.
Das Allzeithoch in Deutschland und in der EU war 2020 erreicht. Politische Rahmenbedingungen, gesellschaftliche Anforderungen und die weitere Entwicklung der Bevölkerung werden längerfristig zum Rückgang des Milchaufkommens führen. Kosten für Energie, weitere Rohstoffe und Arbeit werden voraussichtlich dauerhaft höher bleiben als in der Vergangenheit. Unsicherheit über Nachfrageverlauf am Binnen- und Weltmarkt in Zeiten hoher Inflation und auch schwieriger Rahmenbedingungen bleiben. Auch China als großer Importeur sorgt für Unsicherheiten. Starke Verwertungsunterschiede gibt es derzeit bei kurz- und langfristigen Abschlüssen. Die internationale Nachfrage dürfte aber bei niedrigen Preisen wieder wachsen. Die Milchpreise werden in Zukunft den Verwertungen folgen und sich über kurz oder lang voraussichtlich auf etwa 40 ct/kg einpendeln, meinte de Referanten.
Mit Haltungsstufen voran
Mit großem Interesse wurde der Vortrag von Marc Sagel, Director Sustainability & Stakeholder Relations bei ALDI Nord, erwartet. Das Thema lautete Haltungswechsel: Die gemeinsamen Strategien für mehr Tierwohl in der Breite. Zunächst ging er auf das Einkaufsverhalten der Kunden ein, die immer mehr Wert auf Nachhaltigkeit, Regionalität, Umweltschutz und Tierwohl legen. So sind seit 2022 auch Milch und Milchprodukte wie Käse und Joghurt mit dem vierstufigen Haltungsform-Kennzeichen versehen. Verbraucher können dadurch auf den ersten Blick erkennen, wie hoch das Tierwohl-Niveau bei der Haltung der Milchkühe ist, deren Erzeugnisse sie einkaufen. Bei Frischfleisch hatte ALDI damit bereits 2021 gestartet und will bis 2030 nur noch Frischfleisch der tiergerechten Haltungsstufen 3 und 4 vermarkten. Die Sortimente sollen noch weiter ausgedehnt werden unter den Eigennamen FAIR & GUT und GUT BIO. Bei Milch und Milchprodukten werden als erste Artikel unter MILSANO auf Haltungsstufe 3 und Weidemilch unter der Marke FAIR & Gut mit dem Tierschutzlabel »Für mehr Tierschutz« angeboten.
Den Haltungswechsel kann ALDI nicht allein schaffen. Der Weg für mehr Tierwohl und eine nachhaltige Ernährung lässt sich nur mit allen Beteiligten umsetzen, also mit der Gesellschaft, der Landwirtschaft, der Politik und den NGOs. So geht es in der Landwirtschaft darum, Transformation gemeinsam voranzutreiben und praxisorientierte Kompromisse zu erarbeiten. ALDI wird bei politischen Themen für einen ökologisch und ökonomisch nachhaltigen Wandel kämpfen. Ziel ist eine zukunftsfähige, nachhaltige Landwirtschaft in Deutschland. Dazu ist eine schrittweise Umstellung auf höhere Haltungsformen erforderlich. Der Dialog zwischen allen Stufen der Lieferkette ist zu fördern. ALDI will sich als Partner einer zukunftsfähigen Landwirtschaft in Deutschland etablieren, versicherte
Sagel.
Hohe Milchproduktion im Kreislauf eingebunden
Milchvieh wird überwiegend in grünlandreichen Regionen gehalten. Wie man Tierhaltung in einer intensiven Ackerbauregion stabil gegen Politik und Marktrisiken betreiben kann, darüber informierte Lutz Decker von der Ludwig und Lutz Decker GmbH in Bierberge, Kreis Peine (Niedersachsen). Sein Credo lautete: Betriebswirtschaft und Nachhaltigkeit geschickt verbinden. Der Hof Decker beschäftigt fünf Mitarbeiter plus zwei Azubis bzw. Aushilfen. Er verfügt über 180 ha Ackerland in Direktsaat und 80 ha Grünland sowie 270 Kühe, die auf 13.680 kg verkaufte Milch je Tier und Jahr kommen. Außerdem wird eine Biogasanlage mit einer Durchschnittsleistung von 2.500 kWel betrieben. Über die Wärmenutzung werden 120 Häuser, ein Gärresteindampfer und zwei Trocknungsanlagen mit 20 Containern für Körnermais, Sojabohnen und Holz betrieben. Auf 900 ha von 60 Landwirten der Region wird Vertragsanbau betrieben. Decker sieht seinen Hof weltweit als Grenzanbieter für Milch bei engen Verhältnissen von Futterkosten und Milcherlösen. Die Einbindung der Milchproduktion in den Kreislauf aus Flächennutzung, Tierhaltung und energetischer Verwertung der Rohstoffe stabilisiert aber alle drei Komponenten des Kreislaufs. Die Milchproduktion auf einem Ackerbaustandort ermöglicht die bedarfsgerechte Versorgung gesunder Tiere parallel zur Erreichung ökologischer und sozialer Nachhaltigkeitskriterien.
Deckers denken sogar über die Steigerung der jährlichen Milchproduktion von 3,6 auf 6,5 Mio. kg nach. Dazu wollen sie noch einen neuen Stall bauen und dort die Kühe täglich dreimal von vier Automaten melken lassen. Auch Fütterung, Haltung und Management sollen weiter verbessert werden. Bei hoher Leistung ist auch der Ausstoß von Methan und CO2 pro kg Milch am geringsten. Auf Hof Decker wird die Strategie der »regenerativen Agrikultur« angewendet. So kommt das Saatgut mit minimaler Bodenbewegung in einen fruchtbaren – mit vollständig ungestörter Mulchschicht – Boden. Dadurch kann eine gesunde Pflanze in Symbiose mit der kühl-feuchten Bodenbiologie gedeihen und Pflanzenschutz- sowie Düngemittel deutlich eingespart werden. Der Verbraucher bzw. die Gesellschaft wird so wieder eine Akzeptanz für die technologischen Möglichkeiten und das Wissen der Landwirtschaft entwickeln. Der Hof Decker stellt sich die Aufgabe, den Boden zu beleben, Vögel und Insekten zurückzuholen, Humus aufzubauen und damit den Betrieb samt Milchproduktion CO2-neutral zu betreiben.
Wie geht es den Nachbarn?
Wohin geht die Reise der Milchwirtschaft in Osteuropa? Diese Frage stellt sich so mancher Landwirt. Antwort drauf gab Christian Schramm von der Zott SE & Co.KG in Mertingen. Die Molkerei in Süddeutschland verarbeitet jährlich 835 Mio. kg Milch. Ihre Marken zeichnen sich durch internationale Reichweite aus und sind weltweit in über 70 Ländern vertreten. Besonders präsent ist Zott seit Jahren in Polen, wo man in Opole über eine neue große Molkerei verfügt. Dort werden Naturjoghurt, Quark, Sahne und Schmand sowie Desserts, Kefir, Sahne und Milchgetränke erzeugt. Die Fruchtjoghurtmarke Jogobella ist seit vielen Jahren die Nummer 1 in Polen.
In unserem östlichen Nachbarland werden 2,1 Mio. Kühe gehalten. Die durchschnittliche Milchleistung ist 2021 auf 7.700 kg je Kuh gestiegen. Etwa 12,8 Mio. t werden davon an die 163 Molkereien abgeliefert, Der Selbstversorgungsgrad bei Milch liegt bei 126 %. Polen ist nach Deutschland, Frankreich und den Niederlanden viertgrößter Milcherzeuger in der EU. Mittlerweile werden überwiegend Holsteinkühe gehalten. Die meisten Tiere sind noch in kleinen Anbindställen untergebracht. Zunehmend werden auch moderne Liegeboxenlaufställe gebaut und ältere Ställe mit Melkrobotern nachgerüstet. Modernisierung und Expansion von Betrieben führten in den letzten Jahren zu hohen Flächenpreisen. Wenn es 2000 noch 1 Million Milcherzeugerbetriebe gab, sind es derzeit keine 100.000 mehr. Es kam also zu einem drastischen Strukturwandel in der Landwirtschaft. Die Milcherzeugerpreise sind etwas niedriger als in Deutschland, aber verfolgen diesen Trend. Die meisten Erzeugnisse werden mittlerweile auch in Polen über große Handelsketten, wozu auch Lidle Kaufland und Rossmann zählen, abgesetzt. Die Milchproduktion wird in Polen weiter steigen.
Das QMilch-Programmin der Umsetzung
Wie sich die Kennzeichnung der Haltungsform gestalten und verbessern lässt, darüber informierte Detlef Latka, Geschäftsführer der Hochland Foods GmbH. So gewinnen der Tierschutz und damit das Tierwohl in der Milchwirtschaft einen immer höheren Stellenwert. Hochwald hat da mit der Umsetzung des QMilch-Programms zwischen Erzeugern, den Molkereien und dem Handel klare Ziele. So entsprechen die Systeme QM+ Milch der Haltungsform 2 und QM++ Milch der Haltungsform 3 mit Außenklima. Preiszuschläge sind in allen Stufen zu verhandeln. Hochwald MilchPlus ist ein Milchprogramm, dass alle Maßnahmen zusammenfasst, die über die konventionelle Milch hinausgehen. Das erfordert allerdings eine Trennung in Erfassung und Produktion der Milch.
Wie das QMilch-Programm noch weiter umgesetzt werden kann, erläuterte Klaus Rufli, Projektleiter QM-Milch e.V. Das QMilch-Programm ist der Branchenstandard für Milchprodukte mit der Haltungsformkennzeichnung. Im QMilch-Programm bauen die Module aufeinander auf. QM++ beinhaltet die Kriterien aus QM* und definiert zusätzliche Anforderungen. Dies stellt sicher, dass im Unterschied zu anderen Systemen die Milch bei Bedarf auch in darunter liegenden Stufen vermarktet werden kann. Milcherzeugergemeinschaften schließen mit QM-Milch e.V. einen Nutzungs- und Lizenzvertrag ab und übernehmen die Rolle des Programmkoordinators. Sie stellen sicher, dass als QMilch vermarktete Rohmilch ausschließlich von QM-zertifizierten Milcherzeugerbetrieben stammt. Die ersten Molkereien bereiten den Markteintritt im zweiten Halbjahr 2023 vor. Die ersten QMilch-Produkte sind seit März bereits im Markt. Schlachtkühe von QM+- und QM++-Betrieben sind anerkannt für Initiative Tierwohl Rindfleisch und Mc Donald‘s BEST Beef und erhalten einen Tierwohl-Aufschlag.
Glückliche Kühe im Stall der Zukunft
Seit 2020 gibt es eine Richtlinie zur Förderung der Errichtung von Innovationsnetzwerken zur Entwicklung von Ställen der Zukunft für Rinder-, Schweine- und Geflügelhaltung. Ziel sind die Entwicklung gesellschaftlich akzeptierter und in der landwirtschaftlichen Praxis realisierbarer Stallbaukonzepte, die das Tierwohl verbessern. Einen Milchviehstall der Zukunft für gesunde und glückliche Kühe stellte Prof. Dr. Lisa Bachmann von der Hochschule für Landwirtschaft Neubrandenburg vor. So ein »Stall der Zukunft« soll in Dummerstorf (Mecklenburg-Vorpommern) und der »Vario-Stall« in Grub (Bayern) gebaut werden. Die beiden Demonstrations- und Forschungsställe werden innovative Haltungs- und Managementlösungen sowie ein Maximum an Tierwohl und Tiergesundheit in der Milchviehhaltung unter Berücksichtigung von Verhalten und Sinneswahrnehmung von Rindern aufweisen. Dort soll die Haltung von Kälbern und Kühen aller Trächtigkeitsstadien in Familienherden, eine mutterbezogene Aufzucht und an die Leistung der Kühe angepasste Laktationsdauer erfolgen. Der Stall wird für Besucher einsehbar sein, ohne die Biosicherheit zu gefährden.
Das Baukonzept sieht eine bedarfsgerechte Ernährung in der Familienherde, smarte Fressgitter, offene Liegeflächen, Kälberschlupf, Selbstseparierung zur Abkalbung, automatisches Melksystem mit freiem Kuhverkehr, ein an das Sehvermögen der Rinder angepasstes Llichtkonzept, komfortable Stalleinrichtungen und ein Klimakonzept vor. Das Projekt ist mit Baumbegrünung, Auslaufflächen und Weidegang mit Beschattungsflächen, einem Tränkekonzept für Stall und Weide, Separationsmöglichkeiten mit Behandlungs- und Klauenpflegestand sowie ein Krankenabteil und ein Quarantänebereich vorgesehen. Die Haltungsmaßnahmen sehen einem sensorgestütztes Monitoring der Herde, ein Datenmanagementkonzept und einen Besuchergang vor. Ein erster Entwurf für den Projektantrag liegt bereits vor. Auch baubegleitende Forschungsprojekte sind vorgesehen, wie Bewertung des Liegekomforts, der Klauengesundheit und Untersuchung der Milchhygiene. Mit der Fertigstellung des Stalles sei man längst nicht fertig, sondern dann gehte es erst richtig los, meint Pof. Bachmann. Mögliche Forschungsthemen sind: Wohlbefinden, Gesundheit, Robustheit und Langlebigkeit von Milchkühen und ihren Kälbern, Akzeptanz des Stallkonzepts in der Bevölkerung und Konzepte zur Minimierung des Antibiotikaeinsatzes.
Politik und Wirtschaft weiter gefordert
Abschließend bedankte sich Karsten Schmal, Vizepräsident des Deutschen Bauerverbandes, bei allen Referenten, Teilnehmern an den Diskussionen und Sponsoren sowie beim Moderator Matthias Schuze-Steinmann von top agrar für die gelungene Veranstaltung. Immerhin nahmen daran über 500 Teilnehmer aus der Branche, den vor- und nachgelagerten Bereichen sowie etlichen politischen Institutionen und Medien teil. Das 13. Berliner Milchforum, das unter dem Motto Corona, Klima, Kennzeichnung und Kriegsfolgen sowie Strategien für die Milchbranche stand, hat seine Erwartungen erfüllt.
Was die Milchbranche braucht, so der DBV-Milchpräsident Karsten Scnmal, sind verlässliche Rahmenbedingungen in Politik und Wirtschaft, Wertschätzung in der Breite der Gesellschaft sowie Honorierung und Unterstützung innerhalb der Kette. Dann schaffen die erfolgreichen Mitgliedsbetriebe auch den Spagat zwischen Versorgungssicherheit, Klima und Datenschutz sowie Tierwohl. Das nächste Berliner Milchforum wird voraussichtlich am 21. und 22. März 2024 stattfinden.
Fritz Fleege