Kuhgebundene Kälberaufzucht
Wie kann man Tierwohl steigern? Wie sollte ein Kalb aufwachsen? Und welchen Einfluss hat das Aufwachsen in einem Herden-verbund auf die Gesundheit der Kälber? Das vierte Eichigter Öko-Expertenforum widmete sich diesen und weiteren Fragen rund um die kuhgebundene Kälberaufzucht. Ende Juni kamen auf dem Hofgut Eichigt im sächsischen Vogtland rund 70 Wissenschaftler*innen und Praktiker*innen zusammen, um sich in Vorträgen und Diskussionsrunden über Konzepte der wesensgerechten Tierhaltung auszutauschen.
Das Konzept der kuhgebundenen Kälberaufzucht wird auf dem Hofgut Eichigt bereits seit 2019 mit großem Erfolg umgesetzt. Nach der Geburt bleiben die Kälber zunächst bei ihren leiblichen Müttern. Die Kühe mit dem am besten ausgeprägten Mutterinstinkt übernehmen dann neben der Versorgung des eigenen Kalbes auch die Versorgung von bis zu drei weiteren Kälbern, mit denen sie seit der Geburt bereits zusammenleben. So wachsen die Tiere von Anfang an im Herdenverbund auf und lernen dabei das entsprechende Sozialverhalten.
Zwei Tage lang fanden sich auf dem Hofgut Eichigt im sächsischen Vogtland Wissenschaftler*innen, Landwirt*innen ein, um in Vorträgen und Diskussionsrunden die Chancen und Herausforderungen einer wesensgerechten Haltung zu erörtern. Jannis Buschtöns, Geschäftsführer des Hofgut Eichigt, erklärt: „Unser Eichigter Öko-Expertenforum ist eine Herzensangelegenheit für uns. Der Austausch mit Landwirt*innen und Forscher*innen ist elementar für unsere Arbeit und die Weiterentwicklung der biologischen Land-wirtschaft.“
Den Auftakt machte der Vortrag „Tierwohl und Tiergesundheit in der kuhgebundenen Kälberaufzucht“ von Dr. Kerstin Barth (Thünen Institut). Anhand ihrer Forschungsergebnisse konnte sie aufzeigen, dass die kuhgebundene Kälberaufzucht, wenn richtig ausgeübt, Tierwohl und Tiergesundheit verbessern kann. Hier ist besonders das Konzept der „Fünf Freiheiten“ zu beachten: die Freiheit von Hunger, Schmerzen, haltungsbedingten Beschwerden, Angst und Stress sowie die Freiheit zum Ausleben eines wesensgerechten Verhaltens. Abschließend erklärte sie: „Die kuhgebundene Kälberaufzucht bietet Chancen für das Tierwohl, ist aber kein Selbstläufer.“
Teil jedes Öko-Expertenforums ist eine Führung durch die Ställe des Hofguts – dieses Jahr mit einem anschließenden Stallgespräch unter der Führung von Aneka Meinel (Leitung Tierhaltung Hofgut Eichigt). Dabei standen die baulichen Voraussetzungen und Chancen bei der Umstellung auf kuhgebundene Kälberaufzucht im Vordergrund. Die beiden Referentinnen Lena Grießhammer und Franziska Heinrich (Unternehmenskommunikation des BioMarkt Verbunds) schlossen den Tag mit ihrem Vortrag „Bruderkalb-Kommunikation: Welche Botschaften bewegen Kund*innen“ ab. In einer von ihnen durchgeführten Studie konnten sie durch Kundenbefragungen von ca. 5300 BioMarkt Kund*innen aufzeigen, dass das Konzept des Bruderkalbs der Hälfte der Befragten unklar ist. 30% wünschten sich eine bessere Kennzeichnung.
In ihrem gemeinsamen Vortrag „Mutter- vs. Ammengebundene Aufzucht – Herausforderungen und Chancen“ widmeten sich Prof. Dr. Ute Knierim (Universität Kassel) und Prof. Dr. Edna Hillmann (Humboldt-Universität zu Berlin) zu Beginn des zweiten Tages der Frage, inwieweit sich das Aufwachsen mit der Mutter- bzw. der Ammenkuh in Bezug auf Tierwohl und Sozialverhalten unterscheidet. Hier zeigte sich, dass die ammengebundene Kälberaufzucht weiterverbreitet ist, als die muttergebundene. Grund dafür ist unter anderem, dass eine Anpassung der Ställe leichter vorzunehmen und eine Trennung von Ammen und Milchkühen einfacher durchzusetzen ist. Thematisch daran anschließend befasste sich Dr. Claudia Schneider (Forschungsinstitut biologischer Landbau Schweiz) in ihrem Vortrag „Absetzen und Trennungsschmerz“ mit den psychologischen Faktoren des Absetzens von der Mutterkuh und dem Trennungsschmerz, den Kälber im Absetzzeitraum empfinden. Hier bemängelte sie: „Wir lassen eine Bindung zwischen Kuh und Kalb zu, brechen diese aber zu früh.“ Um den Trennungsschmerz zu minimieren wurden einige Absetzstrategien wie das langsame, schrittweise Absetzen oder eine erste Entwöhnung von der Muttermilch vor dem Trennen vorgeschlagen. Bei einem gemeinsamen Spaziergang auf die Weiden des Hofguts ging Aneka Meinel auf die Herausforderungen der Kälberhaltung auf der Weide ein: „Hier in der Region müssen wir unsere Kälber besonders vor Wölfen und Parasiten schützen, die Temperaturen beobachten sowie Wasser- und Schattenquellen bereitstellen.“ Den Abschluss des vierten Eichigter Öko-Expertenforums machte die Podiumsdiskussion „Zukunftsaussichten der kuhgebundenen Kälberaufzucht“. Aneka Meinel, Maike Schumacher (Gut Wilhelms-dorf) und Kathrin Goebel (Hofgut Oberfeld) luden die Teilnehmenden zum Erfahrungsaustausch ein. Die Umsetzungsmöglichkeiten der kuhgebundenen Kälberaufzucht und die Schaffung von Akzeptanz und einer höheren Nachfrage bei den Kund*innen standen im Mittelpunkt der Diskussion.
Das Hofgut Eichigt ist sehr zufrieden mit den Ergebnissen des vierten Eichigter Öko-Expertenforums. Geschäftsführer Jannis Buschtöns erklärte: „Der Austausch gesammelter Erfahrungen ist unglaublich wichtig. Bio-Landwirtschaft hat viele Stellschrauben, die zu testen allein unmöglich ist. Daher ist es elementar, eigene Ergebnisse und Erfahrungen miteinander zu teilen. Wir sind allen Gästen und Referent*innen sehr dankbar für Ihre Teilnahme und den gemeinsamen Einsatz für eine nachhaltigere Landwirtschaft“.
Das nächste Eichigter Öko-Expertenforum ist für das Jahr 2026 geplant, weitere Informationen gibt es unter www.hofgut-eichigt.de