Jahrestagung MIV in Berlin

29. November 2022

Auf der Jahrestagung des Milchindustrieverbandes (MIV) Ende Oktober in Berlin informierte der Vorsitzende des Verbandes, Peter Stahl, über den sehr volatilen Milchmarkt. Der Krieg in der Ukraine und die Corona-Pandemie ließen nicht nur den Milchpreis in die Höhe schnellen, auch die Verbraucherpreise erreichen mittlerweile Rekordniveau. Der Verband legte seinen Jahresbericht vor, der auf seiner Homepage abrufbar ist.

Die Vortragsveranstaltung und Mitgliederversammlung fand im Hotel Waldorf in Berlin statt. Fotos: Fleege

Mit Spannung erwarteten alle Teilnehmer der Jahrestagung die Vortragsveranstaltung. Den ersten Vortrag hielt dort Dr. Ophelia Nick, Parlamentarische Staatssekretärin des Bundeministeriums für Ernährung und Landwirtschaft. Als sie nach der Regierungsbildung im Dezember 2021 das Amt übernahm, konnte sie sich noch nicht vorstellen, was alles auf sie zukommen würde: der Krieg in der Ukraine, die Klimakrise und der Hunger in der Welt. So befindet sich nun die Gesellschaft in einer multiplen Krise, worunter auch Landwirtschaft und Ernährung stark leiden und Lösungen gesucht werden müssen. Was die Milchwirtschaft betrifft, ist sie zum Teil auch Verursacher der Klimakrise, indem Methan und Kohlendioxid ausgestoßen werden. Sie kann aber auch Teil der Lösung sein, wenn man die Weidewirtschaft und den Futterbau besser ins Kreislaufsysten einbezieht. Andere Probleme sind Trockenheit und Hitze. So ist künftig vor allem auch sparsamer mit Wasser umzugehen.

Was die Milchbranche betrifft, so hat sie im Unterschied zur Schweine- und Geflügelbranche nach wie vor einen guten Ruf in Deutschland. Es gibt tolle Höfe, wo Tierwohl, Produktivität und Klimaschutz im Einklang stehen. Doch nicht jeder Kuh und jedem Kalb geht es hierzulande gut. Da gilt es noch so Manches zu verbessern. Auch werden noch zu viele Antibiotika eingesetzt. Die Regierung ist derzeit dabei, ein Gesetz zur Minimierung des Antibiotikaeinsatzes zu schaffen. Und auch mit der Herkunftsbezeichnung der Erzeugnisse will man weitervorankommen, worüber dann die Tagungsteilnehmer noch heiß diskutierten. Kritik kam auch aus dem Publikum, dass in großen Regionen Deutschlands der Rinderbestand so stark geschrumpft ist, dass das Grünland nicht mehr überall nachhaltig genutzt werden kann. Abschließend ging die Staatssekretärin noch auf integrierte Lieferketten ein, die komplex auf Exporte und Importe wirken und den Wirtschaftsstandort Deutschland stärken sollen. Nachhaltigkeit muss sich lohnen und wirtschaftlich eine wichtige Perspektive bieten. Es werden also noch viele Antworten von den Politikern auf die drängenden Probleme der jetzigen Zeit erwartet.

Wie wird es in der Ukraine weitergehen?

Über den Ukraine-Krieg und seine Folgen für die Milchwirtschaft weltweit informierte Dr. Olga Trofimptseva, Sonderbeauftragte des Außenministeriums der Ukraíne. So konnte sich Anfang des Jahres kaum jemand vorstellen, dass russische Truppen die Ukraine angreifen werden, obwohl der Konflikt schon seit Jahren schwelte und der russische Markt für die Ukraine längst verloren war. Das betraf nicht nur pflanzliche Erzeugnisse, sondern auch Milchprodukte. Der Überfall hat inzwischen nicht nur das Leben in der Ukraine verändert, sondern sich weltweit auf die Ernährungssituation der Menschen ausgewirkt. Immerhin stand die Ukraine bei der weltweiten Erzeugung von Sonnenblumen an erster Stelle, bei Körnermais und Gerste nahm sie den 6. Platz, bei Raps den 7. Platz und bei Weizen und Sojabohnen den 9. Platz ein. Nach den USA und Brasilien war die Ukraine mit über 6 Mrd. EUR der drittgrößte Agrarexporteur in die Europäische Union.

Seit dem Kriegsbeginn am 27. Februar 2022 hat sich der Milchkuhbestand um 10 % auf 390.000 Kühe reduziert, weil Betriebe zerstört wurden oder aufgeben mussten. Die Verluste des Sektors werden auf 136 Mio. USD geschätzt, die Milcherzeugung ist um 15 % und in Kampfgebieten sogar um 50 % zurückgegangen. Viele Betriebe mit Rinderhaltung sind umgezogen oder haben die die Milchsparte sogar aufgegeben. Im Juli 2022 sind die Getreide- und Ölsaatenpreise wegen der Hafenblockade abgestürzt. Als Folge wurde das Futter in der Ukraine billiger und die Tierhaltung im Vergleich zum Pflanzenbau profitabler. Trotz der Hafenblockade liefen die Milchexporte aus der Ukraine über Polen und Rumänien weiter. Die Butterexporte erreichten sogar einen Höchststand. Käse wurde dagegen aus Polen importiert.

Die Rohmilchpreise sind in der Ukraine um 30 bis 40 % niedriger als in der EU. Da die Gaspreise für die Produzenten fixiert sind, ist die Produktion von Butter, Magermilchpulver und Kasein noch profitabel. Die ukrainische Währung ist abgewertet worden, was Exporte attraktiver macht. Im August öffnete sich dann der Getreidekorridor über die Häfen am Schwarzen Meer, sodass in den letzten drei Monaten über 7 Mio. t Getreide und Ölsaaten exportiert werden konnten. So sind seit Mai 2022 über 12 Mio.t Getreide, Ölsaaten und andre Erzeugnisse aus der Ukraine über die Solidaritätskorridore ausgeführt worden. Die weitere Entwicklung hängt vom Krieg ab, meinte Dr. Olga Trofimptseva. Die Handelsliberalisierung zwischen der EU und der Ukraine bietet zumindest den Produzenten neue Möglichkeiten. Je länger jedoch der Krieg dauert, desto schwieriger wird die Situation für die ukrainische und weltweite Agrarwirtschaft. Militärische Unterstützung und stärkere EU-Anbindung der Ukraine könnten helfen.

Warum konsumiert der Verbraucher, wie er konsumiert?

Ein großes Rätsel zu lösen, versuchte Prof. Dr. Soyoung Q Park, Professorin am Deutschen Institut für Ernährungsforschung Potsdam. Ihr Thema lautete: Warum konsumiert der Verbraucher, wie er konsumiert? Als Neurowissenschaftlerin beschäftigt sie sich nämlich vor allem mit dem Thema Entscheiden. Vor dieser Frage stehen die Menschen jeden Tag mehrmals bei der Auswahl des Essens. Da steht schon die Frage: Wird es gut sein, habe ich Lust darauf? So hat man meistens eine Vorstellung, wie das schmecken würde. Da macht man sozusagen schon eine Vorhersage. Wenn man beispielsweise an Schokoeis denkt, dann wird schon im Gehirn ein Muster kreiert, als ob wir es tatsächlich im Mund hätten. Bereits die Vorstellungen scheinen sehr wichtig zu sein. Auch der Körper kann von unseren Vorstellungen geleitet werden. So reagiert er schon anders, wenn auf dem Milchshake steht, dass er weniger Kalorien enthält als ein anderer, obwohl das gar nicht stimmen muss. Ein Genussshake schmeckt dagegen kaum, wenn man weiß, da sind viele Kilokalorien drin, was ungesund sein soll. Auch der Hormon- und Blutzuckerspiegel kann sich schon durch unterschiedliche Vorstellungen im Körper ändern. Wichtig ist also, dass man das auch glaubt, was auf der Verpackung steht. Der erste Eindruck scheint sehr wichtig zu sein, schließlich will man sich gut ernähren, damit man gesund bleibt.

Als die Menschen noch als Jäger und Sammler lebten, hatten sie recht proteinreiche Nahrung. Als sie sich dann niederließen und anfingen, Ackerbau zu betreiben, wurde die Nahrung kohlenhydratreicher. Getreide konnte man gut anbauen und lagern. Man wurde aber intoleranter gegenüber unfairem Verhalten. Das entwickelte sich so immer weiter bis heute. Nun kam die Corona-Pandemie. Die Menschen konnten nicht mehr reisen und kaum Freunde besuchen. Wer in dieser Zeit neugierig und aktiv war, ist in der Regel problemloser durch den Lockdown gekommen. Einsamkeit wirkt nämlich toxisch, dagegen tragen richtige Ernährung, Bewegung und Informationen zum Wohlbefinden bei. Da stellt sich auch die Frage beim Essen, wie kommt man zu rationellen Entscheidungen, um zum Beispiel mehr Joghurt, Quark, Käse oder Gemüse zu verbrauchen. Da können auch die Verpackungen helfen, auf denen zu sehen ist oder draufsteht, was drin ist. Anders sieht es oft bei veganen Produkten aus, bei denen Milchprodukte vorgetäuscht werden und der Inhalt aus pflanzlichen Erzeugnissen besteht. Der Käufer hat also eine andere Erwartungshaltung davon.

Hans Holtorf, Peter Stahl und Eckhard Heuser standen auf der Pressekonferenz den Journalisten Rede und Antwort.


Milch – nachhaltig und gesund?

Den letzten Vortrag auf der MIV-Jahrestagung hielt Kerstin Wriedt, Geschäftsführerin der Initiative Milch 2.0 GmbH. Sie ging dem neuen Mainstream in der Ernährung nach und versuchte gleich Antwort auf die Frage zu geben: Milch – nachhaltig und gesund? Ihr Arbeitsjahr begann nämlich mit einem Expertentalk, zu dem Publikumsmedien eingeladen wurden. Die beiden Ernährungswissenschaftler Dr. Malte Rubach und Prof. Wilhelm Windisch eröffnen dazu dort die wissenschaftliche Sachlage, welche Rolle Milch in der klimaschonenden Ernährung spielt. Ein umfangreiches Interview mit Prof. Windisch später in der FAZ wurde der Starter für eine Reihe weiterer Berichte in reichweitenstarken Medien wie der taz und vor kurzem im WDR Markt. Parallel dazu bringt die Initiative unter dem Motto „Let’s talk Milch“ junge Landwirte, Molkereimitarbeiter, Influencer, Experten und Verbraucher ins Gespräch – in Podcasts (Spotify), Talkveranstaltungen und auch kürzlich auf der Messe der Berlin Food Week. Das Hauptstadtpublikum hat den offenen und frisch gestalteten Ansatz der Initiative Milch sehr positiv aufgenommen – 210 Liter am Stand verkostetes Ayran (Milch, Joghurt, Wasser, Salz) an zwei Tagen sprechen für sich.
Wir haben die Leute neugierig machen und auf den Geschmack bringen können, freute sich Kerstin Wriedt. Anzeigen der Initiative, die den CO2- und Nährstoffkreislauf in den Vordergrund stellen, in den Verlagen engagierte Diskussionen starten, die zu neuen, differenzierten Berichten in Zeitschriften wie der Welt führen. Für Familien- und Frauenmagazine werden die Formate entsprechend angepasst, so auf den Schulstart und die klimaschonende, gesunde Pausenbox. Krönender Abschluss wird im November die erneute Kooperation mit einem führenden Kochbox-Anbieter sein. Die wissenschaftlichen Grundlagen wurden außerdem für Multiplikatoren und interessierte Verbraucher gemeinsam mit der Gemeinschaft der Milchwirtschaftlichen Landesorganisationen (GML) aufbereitet und auf Kongressen vor Diätassistentinnen und Ernährungsmedizinern präsentiert. „Wir bringen uns ein und laden die Branche ein, das auch zu tun“, schloss Kerstin Wriedt ihren Vortrag ab. Das Teilen der Informationen und Vorantreiben der Inhalte ist wichtig, um in die Breite zu wirken. Zudem können sich auch weitere Milcherzeuger und Molkereien jederzeit anschließen.

Verhalten optimistisch in die Zukunft

Auf der abschließenden Pressekonferenz standen Peter Stahl, Eckhard Heuser, Hans Holtorf und Dr. Björn Börgermann als Vertreter des Milchindustrieverbandes den Journalisten Rede und Antwort. Sie gaben auch eine Einschätzung über die wirtschaftlichen Ergebnisse der vergangenen Monate und einen kurzen Ausblick. Wenn 2021 noch fast 33 Mio. t Milch an die Molkereien geliefert wurden, gehen sie im laufenden Jahr spürbar zurück. Immer mehr Auflagen und Kosten machen das Leben der Milcherzeuger schwer und werden für einen weiteren Strukturwandel sorgen. In Deutschland erhalten die Milcherzeuger derzeit mit teils über 60 ct/kg Rohmilch die höchsten Milchpreise in der EU. Sie werden im Durchschnitt des Jahres 2022 über 50 ct betragen nach rund 36 ct 2021. Das hat sich auch auf den Pro-Kopf-Verbrauch an Milchprodukten ausgewirkt. So ging die Menge an Konsummilch um 10 % zurück., während der Käsekonsum um 7 % zunahm. Bei Butter wiederum erhöhte sich der Absatz trotz gestiegener Preise leicht. Die „vegane Welle“ spürt insbesondere der Konsummilchmarkt. Was die Zukunft betrifft, so können auf die Verbraucher weitere Preissteigerungen zukommen, schließlich sind auch die Kosten der Verarbeitung deutlich gestiegen, vor allem für Energie und Gas. Der Höhepunkt der Preisentwicklung in den meisten Bereichen scheint erreicht zu sein, sodass der Milchindustrieverband verhalten optimistisch in die Zukunft schaut. Hinzu kommen noch die sich ab Januar 2023 ändernden Rahmenbedingungen der Gemeinsamen Agrarpolitik mit Folgen auch für die Milcherzeuger. Regelungen zum Anbau auf den Feldern werden verschärft, die Direktmittel aus Brüssel neu verteilt und Nachhaltigkeit rückt weiter in den Fokus. Der Aufwand für Erzeuger und Molkereien sowie für die Bürokratie wird steigen.

Fritz Fleege
Beitrag wurde erstmals veröffentlicht in der Deutschen Molkerei Zeitung
Deutsche Molkerei Zeitung Milchwirtschaft

 

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