IDF Word Summit in Paris: Im Zeichen der Nachhaltigkeit
Mehr als 1.600 Teilnehmer aus 60 Ländern weltweit, die über aktuelle Herausforderungen des weltweiten Milchsektors diskutierten, ein anspruchsvolles Vortragsprogramm, das von einem ebenso anspruchsvollen Rahmenprogramm begleitet wurde – der World Summit 2024 der International Dairy Federation (IDF) wurde Mitte Oktober in Paris seinem Ruf als »der weltweite Treff« der Branche erneut gerecht. Ein besonderer Höhepunkt war die Unterzeichnung der Pariser Erklärung für eine nachhaltige Milchwirtschaft.
Zentrales Thema des gesamten Kongresses war die Nachhaltigkeit. Dazu gab zuerst Bruce Campbell, Global Center on Adaptation and Clim-Eat, einen Überblick über die aus seiner Sicht verheerenden Auswirkungen des aktuellen weltweiten Ernährungssystems. Dieses sei aus den Fugen. Zudem habe die moderne Landwirtschaft fürchterliche Auswirkungen auf den Planeten. So sei eine ungesunde Ernährung Auslöser von Diabetes und Herzerkrankungen, die zu starken Belastungen des Gesundheitssystems führten. Ein großer Teil der Welt leide zudem an Hunger. Die planetarischen Grenzen seien längst erreicht. Ein Beispiel ist der Verlust von mehr als der Hälfte aller Korallenriffe weltweit seit 1950. Eine Umkehr sei daher dringend notwendig. Ein wichtiger Faktor ist dabei der Aufbau eines neuen Ernährungssystems. Landwirtschaft in der aktuellen Form sei in naher Zukunft in Teilen der Welt nicht möglich. Daher müssen sich die Farmer, aber auch die weiteren Teilnehmer der Lebensmittelherstellung an die Herausforderungen anpassen. Dazu sei bspw. eine Reduzierung der CO2-Emmissionen unabdingbar. Der Weg dazu sind u.a. veränderte Praktiken auf den Farmen wie die Erzielung höherer Ausbeuten mit einem geringeren CO2-Fußabdruck und die Bekämpfung von Lebensmittelverschwendung. Dabei sollen Konsumenten weltweit ihre Ernährungsgewohnheiten hinsichtlich einer nachhaltigeren Ernährungsweise verändern. Dazu gehören mehr pflanzliche Lebensmittel und weniger tierische Nahrung.
Branche blockiere Neuerungen
Ein generelles Problem sah Campbell auch im Image der der modernen Landwirtschaft. Nur jeder fünfte halte diese für glaubwürdig. Eine niedrige Anzahl, die sich die Branche aber selbst zuzuschreiben habe. So seien in der Vergangenheit viele Versprechen gebrochen und ein Wandel hin zu einer »besseren« Landwirtschaft blockiert worden. Ein aktuelles Beispiel sei die Blockadehaltung gegenüber der Finanzierung der Herstellung alternativer Proteine innerhalb der Branche. Das müsse besser werden, um eine Veränderung zu schaffen, so Bruce Campbell abschließend.
Im Anschluss an diese sehr negative Einschätzung der Landwirtschaft an sich, gab Dr. Anne Mottet, Lead Livestock Specialist von IFAD, einen Einblick in die Situation der Milchwirtschaft innerhalb der Landwirtschaft. Und der relativierte einige Aussagen des Vorredners durchaus. So gebe es in der Tat starke Unterschiede beim Zugang zu Lebensmitteln weltweit. Aber der Anteil der Milchwirtschaft ist dabei sehr gering. Globale Märkte sind aus Sicht Dr. Mottets keine Lösung für das Problem. Vielmehr müsse das Problem lokal angegangen werden. Bei der Farmgröße sind 70 % der landwirtschaftlichen Betriebe Besitzer kleiner Herden und stellen kein Problem dar. Ein solches seien aber durchaus die großen Farmen mit ihren großen Herden. Dafür müsse eine Lösung gefunden werden. Generell sei die Nutzung von Grasland aus ökologischer Sicht aber besser als jede andere Art der Nutzung. In vielen Fällen sei auch eine Umwandlung in Ackerland schlicht nicht möglich. Problematisch sah sie den weltweiten Konsum, der schneller wächst als die Verbesserungen durch Effizienzsteigerungen es kompensieren könnten. Daher müssen die Verbesserungen noch schneller Wirkung zeigen und das Nutzvieh stärker priorisiert werden bei Aktionen gegen den Klimawandel.
Ein allgemein gültiger Ansatz zur CO2-Bestimmung
Nach dieser Einführung vertieften weitere Redner das Thema mit aktuellen Lösungsansätzen. Ein wichtiger Aspekt wäre dabei ein allgemein gültiger Ansatz bei der Messung des CO2-Fußabdrucks von Betrieben. Bisher gibt es dazu verschiedene Varianten, die miteinander konkurrieren, aber selten vergleichbar sind. Das könnte sich aber ändern. Dr. Andrew Fletcher, Programmdirektor der neuseeländischen Molkereigenossenschaft Fonterra, stellte in seinem Vortrag eine solche Option vor. Der aktuelle IDF-Standard habe Schwächen, da er eben unterschiedliche Methoden beinhaltet. Um Klarheit zu schaffen, bedarf es eines gültigen Standards mit nur einer Methode. Um diesen zu ermöglichen, hat Dr. Fletcher ein »Verifikationstool« entwickelt. Dies enthält in Version 1 »Cradle to farm gate« eine Zusammenfassung aller wichtigen Komponenten eines Milchviehbetriebs wie z.B. das vorhandene Areal, die Möglichkeit einer eigenen Futterproduktion und ähnliches. Die Version 1 ist laut Dr. Fletcher bald erhältlich und soll Unklarheiten dann beseitigen. Farmer erhalten damit die Möglichkeit, den vorhandenen IDF-Standard erfüllen zu können.
Erweitertes Lifecycle-Assessment für mehr Vertrauen
Auf einen anderen Bereich zielte der Vortrag von Dr. Aaron Simmons, NSW Department of Primary Industries in Australien. Er stellte eine Erweiterung des Lifecycle-Assessments in Form eines zusätzlichen Protokolls zur Einbeziehung der Mitigation vor. Auf diese Weise könnte das Vertrauen der Konsumenten erhöht und das Risiko von Beschuldigungen, Greenwashing zu betreiben, reduziert werden. Dazu wurden vier Prinzipien eingebaut. Erstens der Nachweis, dass die Technologie sicher ist. Zweitens, dass sie zudem auch effektiv ist. Dazu wurde u.a. wurde ein Bereich eingeführt, der wissenschaftliche Nachweise enthält, um das Vertrauen zu erhöhen. Dritte Neuerung sind konservative Claims, die sich an der IPCC-Terminologie orientieren und Verantwortlichkeit demonstrieren sollen. Nicht zuletzt muss gesichert werden, dass das vorhandene Datenmaterial geeignet ist, um die Reduzierung von Treibhausgasemissionen zu zeigen und zu bewerten. Schlechtes Datenmaterial, wie es noch oft vorgefunden werde, reduziere das Vertrauen in die Bemühungen der Farmer, Verbesserungen beim Klimaschutz zu erreichen.
Barrieren auf dem Weg zur Netto-Null
Welche Barrieren und Hindernisse auf dem Weg zu einer Netto-Null an Treibhausgasemissionen in der Milchwirtschaft zu nehmen sind, beleuchtete dann Andrew Barnes, Scotland Rural College. Er stellte die Ergebnisse einer Befragung von Farmern in Großbritannien, Indien und Kenia vor. Viele Landwirte seien demnach unwillig, neue Technologien anzuwenden. Gründe dafür sind laut Barnes eine generelle Skepsis gegenüber dem Klimawandel, ökonomische sowie ökologische und soziale Faktoren. Vor allem in Indien ist die Bereitschaft sehr niedrig, während es in Großbritannien eine große Streuung gibt. Positiver sieht es in Kenia aus. Dort werden bis 2050 strukturelle Änderungen in der Industrie erwartet durch Spezialisierungen und Intensitätssteigerungen. Allgemein ist eine unterschiedliche Bereitschaft je nach Land und nach Technologie zu verzeichnen. Um diese zu erhöhen, sei eine Harmonisierung der regulatorischen Instrumente und eine Formalisierung der Milchmärkte notwendig, so Barnes. Hinzu komme die Koordination der ökonomischen Instrumente, bei der auch Partnerschaften zwischen privaten und staatlichen Unternehmen ein Ansatz sein könnten. In jedem Fall gelte es die unternehmerischen Aktivitäten und allgemein die Fähigkeiten der Beschäftigten zu verbessern.
Ein Beispiel für die erfolgreiche Reduktion von Treibhausgasemissionen stellte dann Tom O‘Dwyer von der irischen Genossenschaft Teagasc vor. Diese hat eine Roadmap mit drei Phasen entwickelt, die von 2018 bis 2050 reichen. Gestartet wurde mit 23 Megatonnen CO2-Äquivalenten. Erstes Ziel ist es 17,25 Mt CO2-Äquivalenten im Jahr 2030 zu erreichen. Die Herausforderung besteht laut O‘Dwyer in der Umsetzung, da die notwendigen Lösungen und Technologien bereits vorhanden sind. Einige davon reduzieren als Nebeneffekt sogar die Kosten auf den Höfen, während andere zu zusätzlichen Belastungen führen. Der Ausgangswert für die Produktion von einem kg Rohmilch war 0,95 kg CO2-Äquivalente. Um das Ziel zu erreichen, soll dieser auf 0,65 kg CO2-Äquivalente reduziert werden, was mit der vorhandenen Technik machbar sei, so der Referent. Dazu wurde ein Projekt mit 62 Partnern für den gesamten irischen Molkereisektor entworfen. Die Farmer nutzen die Technologien aber nur, wenn sie bei der täglichen Arbeit einen Nutzen bringen. Das Klima sei dabei zweitrangig, so O‘Dwyer. Die Kosten des Projekts tragen die Molkereien und die Regierung gemeinsam, Erste Erfolge sind bereits vorhanden. Der Wert an CO2-Äquivalenten konnte bereits auf 0,90 kg gesenkt werden. Aber bis zum Endziel ist noch einiges zu tun.
Tierwohl – von der Theorie zur Praxis auf den Höfen
Das Nachhaltigkeitsthema endete aber nicht bei der Besprechung in der speziellen Session. Das Thema zog sich stattdessen als roter Faden durch den gesamten World Summit. Das betraf bspw. auch das Thema Tierwohl. Der Schwerpunkt dieses Bereichs lag auf der praktischen Umsetzung der theoretisch vorhandenen Grundlagen auf den Farmen. Dabei wurde bis zur Jahrtausendwende in der Forschung zu viel Wert auf die Gebäude gelegt und der Faktor Mensch zu wenig berücksichtigt, wie Prof. emeritus David Fraser in seinem Vortrag erläuterte. Die Differenz zwischen gutem und schlechtem liege aber in der menschlichen Interaktion. Tierwohl ist ein sehr komplexer Prozess mit den Elementen Tier, Umwelt und Mensch. Man habe am Anfang regulierte Systeme als Ziel gehabt, aber der bessere Weg sei der einer verbesserten Profession der Beteiligten. Besser ausgebildete Mitarbeiter seien in der Lage, besser auf die Tiere einzugehen und so eine optimale Mensch-Tier-Beziehung aufzubauen. Ein Schritt in diese Richtung stellen spezielle Trainingseinheiten dar. Es werde allerdings einen längerem Zeitraum benötigen, um sichtbare Erfolge zu erzielen, so David Fraser, der in diesem Zusammenhang an die bahnbrechenden Umstellungen bei der Ausbildung in der Krankenpflege durch Florence Nightingale erinnerte, die auch erst nach Längerem Erfolge zeigten, aber diese dann nachhaltig. Im anschließenden Vortrag beleuchtete dann die Rechtsanwältin Dr. Carolina Maciel die rechtlichen Aspekte des Tierwohls. Dieses habe sich in den letzten Jahrzehnten deutlich verändert. Während Tiere anfangs keine Rechte hatten, da sie als »Dinge« angesehen wurden, gibt die aktuelle Rechtslage ihnen erstmals verbriefte Rechte. Das gilt für alle Teile des Rechtsystems wie Kriminalrecht, Strafrecht oder auch internationales Handelsrecht. Allerdings gibt es weltweit verschiedene Ansätze der Auslegung. Einige Jurisdiktionen legten den Schwerpunkt eher auf weniger starke Tierrechte, sodass es noch keine weltweit einheitliche Situation gibt. Andere Vorträge befassten sich mit dem Stand des Tierwohls in den einzelnen Ländern und global sowie verschiedenen Lösungsansätzen zur Verbesserung. Auch in den Bereichen Lebensmittelsicherheit und Ernährung spielte das Thema ebenso eine größere Rolle wie bei den Gesprächen in den Pausen.
Pariser Erklärung zur Nachhaltigkeit unterzeichnet
Ausdruck der besonderen Bedeutung des Themas gab dann der Abschluss des Kongresses. Am Schlusstag unterzeichneten die Beteiligten die Pariser Erklärung für eine nachhaltige Milchwirtschaft. Die IDF schließt sich der FAO-Definition von Nachhaltigkeit an, wonach Nachhaltigkeit bedeutet, die Bedürfnisse heutiger und künftiger Generationen zu erfüllen und gleichzeitig Rentabilität, Umweltgesundheit sowie soziale und wirtschaftliche Gerechtigkeit zu gewährleisten. Daher sollte nachhaltige Ernährung und Landwirtschaft (SFA) zu allen vier Säulen der Ernährungssicherheit – Verfügbarkeit, Zugang, Nutzung und Stabilität – und den Dimensionen der Nachhaltigkeit (ökologisch, sozial und wirtschaftlich) beitragen. Dies betrifft alle Akteure der Wertschöpfungskette der Milchwirtschaft, vom Erzeuger bis zum Verbraucher, einschließlich aller Landwirte und Verarbeiter, ob klein, mittel oder groß, Genossenschaften, Milcharbeiter und -führungskräfte, Wissenschaftler und Experten, Händler, Molkereigewerkschaften und alle, die am Prozess der Herstellung von Milchprodukten im weitesten Sinne des Wortes beteiligt sind und die IDF auf der ganzen Welt vertritt. Die Mitglieder verstehen, dass dies globale Herausforderungen, aber auch lokale Lösungen impliziert. Aufbauend auf der Milchdeklaration von Rotterdam aus dem Jahr 2016, in der sich der globale Milchsektor geschlossen zur Agenda 2030 der Vereinten Nationen bekannt hat, setzt diese Initiative den Weg fort, indem sie die von den Akteuren der Milchwirtschaft ergriffenen Maßnahmen aufzeigt und anerkennt, dass selbst wenn viel getan wurde, es immer noch nicht genug ist; und da wir nur noch sechs Jahre von 2030 entfernt sind, wird die Zeit knapp und wir sollten unsere Bemühungen beschleunigen. Die Landwirtschaft im Allgemeinen und die Milchwirtschaft im Besonderen stehen vor besonderen Herausforderungen, da sie direkt an SDG2: Kein Hunger beteiligt sind. In diesem Zusammenhang sagte die Generaldirektorin der IDF, Laure Rycken: »Der globale Milchsektor muss den Weg fortsetzen, um in weniger als sechs Jahren auf den Ruf der Agenda 2030 zu antworten und zu zeigen, wie er seine Verantwortung für die Herausforderungen übernommen und darauf reagiert hat.« Die Pariser Nachhaltigkeitserklärung der IDF wird die konkreten Verpflichtungen der Milcherzeuger in Bezug auf die verschiedenen Säulen der Nachhaltigkeit (Klimawandel, Ernährung, Gesundheit, wirtschaftliche Sicherheit, Schutz der natürlichen Ressourcen usw.) ans Licht bringen und eine klare Botschaft an Regierungen, Entscheidungsträger und die Öffentlichkeit über die Dynamik des Milchsektors senden. Dies fand Widerhall während des IDF Dairy Leaders Forum, bei dem Akteure aus der gesamten Wertschöpfungskette der Milchwirtschaft ihre Arbeit/Initiative austauschten.
Ralph Ammann