Zurück in die Zukunft
Noch vor der Geburt werden die Weichen für gesunde und fitte Kälber gestellt. So hat der Zustand der trächtigen Kuh einen erheblichen Einfluss auf die Vitalität des Kalbes.
Johannes Kraus, Sachgebietsleiter Rind an der LLA Triesdorf, plädiert dafür, nur einmal in der Woche das Vieh umzustallen; jeweils zwei Wochen vor dem Kalben in die strohgestreute Vorbereitergruppe. Das vermindert Stress. Beim »Durchmelken« sei die Biestmlich nur »Schrott«, also für eine gesunde Kälberaufzucht ungeeignet. Triesdorf habe sich daher auf einen Trockenstellerzeitpunkt von sieben bis acht Wochen festgelegt. Nur wenn die Milchleistung unter 14 kg sinkt, wird vorher trockengestellt.
Die Mehrzahl der Kühe bekommen in Triesdorf nur einen Zitzenversiegler. Hier sei wichtig, dass der Versiegler dort appliziert wird, wo er hin muss: Wer von Anfang an die Zitze zuhält, bekommt einen massiven Überdruck; beim Loslassen wird der Versiegler durch die in der Tube enthaltene Luft ins Euterinnere katapultiert. Die Zitze müsse also erst abgedrückt werden, wenn die Luft aus der Tube heraus ist. Nur so komme der Versiegler dort hin, wo er gebraucht wird.
Fütterung rechtzeitig anpassen
Zwei bis drei Wochen vor der Kalbung werden in Triesdorf die Kühe dann in die Vorbereitungsgruppe umgestallt. Wenn die Nachgeburten nicht zackig abgehen oder einige Kühe zum Festliegen neigen, solle der Landwirt bedenken, dass die Kühe in diesem Zeitraum viel fressen müssen. Schlechte Fresser haben nachweislich mehr Probleme mit Ketose, Milchfieber und Gebärmutterentzündungen. Ziel ist: maximale Trockenmasse-Aufnahme.
Wichtig ist, mehr als genügend Fressplätze vorzuhalten und die Ration sehr schmackhaft zu machen. Hierbei sei die Füllung der linken »Hungergrube« zu beachten. Die Kationen-/Anionen-Bilanz, also die sogenannte DCAB müsse möglichst gering (mehr als 150 mEq/kg Trockenmasse) gehalten werden: Alles was die Kuh in hohen Mengen mit der Milch ausscheidet, wie etwa Calcium, Kalium, Natrium, müsse also vor der Geburt aus der Ration herausgenommen werden. Negativ geladene Elemente wie Chlor und Schwefel hingegen müssen nun in die Ration hinein. Dadurch werde eine Reduzierung des Calciums erreicht und ein Auslagern aus den Knochen bereits vor dem Kalben verhindert.
Was kommt in die Ration?
Anders als mit sauren Salzen dürfe die Ration gerade in diesem Stadium nicht unschmackhaft gemacht werden. Durch das Verschieben im Calcium-Stoffwechsel könne die Kuh ordentlich trainiert werden. Heu, Grassilage und Biertreber müssen in dieser Phase aus der Ration herausgenommen und durch Maissilage, Stroh und Rapsschrot ersetzt werden. Zur richtigen Vorbereitungsfütterung vor dem Kalben gehört aber auch, dass mindestens 14,5 % nutzbares Protein in der Ration und 1.000 mg Vitamin E/Tag zur Verfügung gestellt werden. Zwei Wochen vor der Kalbung, wo das Kalb fast das Doppelte seiner Masse nochmal zulegt und das Euter aufgebaut wird, müsse deshalb zwingend auf eine ausreichende Eiweißversorgung geachtet werden; Soja- oder Rapsschrot seien dazu sehr geeignet.
Vitamin E sei wichtig, um Kuh und Kalb ordentlich zu schützen. Selen liege seit einigen Jahren in verschiedenen Formen vor: Geschützte Selen-Hefe (die einzige organische Form von Selen) ist in der Transitphase der Kuh über die Plazenta (zu 90 %) auf das Kalb übertragbar. Der Enzymbestandteil sei verantwortlich, dass der Stoffwechsel von Kuh und Kalb reibungslos funktioniert. Selenmangel äußere sich vor allem bei Fleckviehkälbern mit fehlendem Saugreflex. Über Mineralstoff verabreicht, erfordere die Selengabe (organisch gebundenes Selen in Form von »Selenhefe« oder »Selen-Methionin«) keinen zusätzlichen Arbeitsaufwand. »Wer Selenhefe in der Transitphase verabreicht, stellt fest, dass sich innerhalb von zwei Wochen bei den Kälbern etwas massiv verändert: Sie haben getrunken, werden viel fitter und vitaler«, so Kraus.
Biestmilch überprüfen
Refraktometer mit automatischer Temperaturkompensation (ATC) und einer Messwertskala zwischen 0 bis 32 Brix-% zeigen, wie hoch der Gehalt an Immunglobulinen im Kolostrum ist: Antikörper gegen Antigene (Krankheitserreger). Beim »ColostroCeck« (kleiner Messbecher mit Auslauf) muss nur gemessen werden, wie lange das Kolostrum in dem gefüllten Becher braucht, bis es ausgelaufen ist. 20 Sek. entsprechen hier 20 Brix-%. Ab 22 Brix-% (mehr als 50 lgG/l) sei das Kolostrum sehr hochwertig.
»Gelb, zäh und von alten Kühen macht Biestmilch nicht automatisch hochwertig – messen ist deshalb unabdingbar«, rät Kraus. Weist Kolostrum weniger als 22 Brix-% auf, könne es mit hochwertiger Biestmilch aufgewertet werden. Hierzu empfahl Kraus: »Kolostrum in 500-ml-Plastikflaschen oder Gefrierbeuteln (flach) einfrieren und in bis zu höchstens 40° C warmem Wasser auftauen.« Hochwertige Biestmilch müsse innerhalb der ersten 5 Std. nach der Geburt in ausreichender Menge (3 l für ein normales Kalb) verabreicht werden – je früher, desto besser! Es sei nachgewiesen, dass Kälber, die mindestens 150 g Immunglobuline (IgG) erhalten haben, »signifikant überlebensstärker und krankheitsunanfälliger« sind.
Hochwertiges Kolostrum erfordert spätestens eine Woche vor der Kalbung die Fütterung mit hochwertigem Eiweiß und Energie (Raps- oder Sojaschrot und Getreide oder Körnermais). Hitzestress, wenig Futteraufnahme macht vor allem im Sommer erforderlich, dass Futter nicht warm wird, dass zweimal täglich gefüttert wird und die Kühe an den Futtertisch gelockt werden, somit also genug fressen.
Trinkt das Kalb nicht oder nicht so viel, wird es in Triesdorf per Flasche und Nasen-Schlund-Sonde (bis 11 mm Durchmesser) gedrencht. Langsam einführen, dass der Schlauch abgeschluckt werden kann. Beim Rausziehen abknicken, damit nichts in die Lunge nachläuft. Das dürfe aber nur einmal – nach der Geburt – passieren, weil die Milch so in den Pansen gelangt. Später gedrenchte Kälber bekämen vielfach Durchfall, weil die Milch in den Labmagen gehöre. Milch müsse immer über einen hochgestellten Nippeleimer (möglichst durchsichtig und mit Deckel) verabreicht werden, damit diese über den Schlundrinnen-Effekt auch im Labmagen landet. Wasser hingegen gehöre in den Pansen, um den Futterbrei anzuwässern. Deshalb sollten die Kälber das Wasser von der Wasseroberfläche z.B. in einem Eimer saufen.
Das Kalb komme ohne entsprechende Antikörper zur Welt. »Bei einem gänzlich ungeschützten Kalb mit einem gänzlich ungeschützten Darm ohne jeglichen Schutz ist Durchfall nahezu vorprogrammiert«, weiß Kraus. Jeder Futtermittellieferant habe richtige Selen-Hefe im Angebot: Theoretisch könnten drei unterschiedliche Mineralfutter verabreicht werden: eines für Laktierende, ein spezielles für Trockensteher und eines (zwei Wochen vor dem Kalben) mit Selen-Hefe. Triesdorf gebe seinen Kühen nur zweierlei: eines für Laktierende und eines für Trockensteher (mit Selen-Hefe). Und das mit entsprechendem Erfolg.
Laut Kraus braucht das Kalb für Fortbewegung, Verdauung und Wärmeregulation sowie für die Reaktion des Immunsystems einen gewissen Erhaltungsbedarf, der bei Temperaturen unter 0° C um bis zu 33 % ansteigt. Deshalb sei im Winter zwingend eine Zugabe von 2 l Milch erforderlich. Wichtig sei zu wissen, dass sich eine maximale Nährstoffzufuhr in den ersten Lebenswochen auf die lebenslange Leistungsfähigkeit der Organe sehr positiv auswirkt. Versorgungslücken in diesem Zeitraum können später nicht mehr aufgeholt werden. Aus diesem Grund werden in Triesdorf die Kälber in den ersten vier Lebenswochen immer »ad libitum« gefüttert und danach bis zur elften Woche langsam abgetränkt. Solange sich die Kälber in Einzelhaltung mit Eimertränke befinden, wird die Vollmilchtränke auf einen pH-Wert von 5,3 angesäuert. Erst danach bekommen sie Milchaustauscher, bei dem die Säure bereits enthalten ist.
Kälber richtig tränken
– Kälber müssen von Anfang an ad libitum gefüttert werden, eine spätere Umstellung kann leicht zu Durchfällen führen.
- Bis zum dritten Tag bekommen die Kälber Biest-/Muttermilch, die am vierten und fünften Tag auf pH 5,8, danach auf pH 5,3 angesäuert wird. Für die Zeit vom 22. bis 77. Tag steht ihnen ein Tränkeautomat zur Verfügung (beginnend mit 12 bis 14 l wird bis zum Schluss auf 2 l/Tag abgetränkt).
– Durch die Ansäuerung kann relativ temperaturunabhängig gefüttert werden. Dennoch wird Warmsauertränke (30 bis 35° C) empfohlen.
– Für den Einsatz von Milchaustauscher (MAT) gilt: 1 l Vollmilch entspricht ca. 160 g MAT.
– Fleckviehkälber mit täglichen Zunahmen von 1.000 g brauchen 9 l Vollmilch oder 1,4 kg MAT.
Kraus plädierte dafür, dass entweder Vollmilch oder Milchaustauscher ohne pflanzliches Eiweiß verwendet wird. Vollmilch sei nur komplett durch MAT ersetzbar, wenn nur Magermilchpulver und Süßmolkepulver enthalten ist. Weizenprotein und Sojaproteinkonzentrat haben im MAT nichts verloren, weil das junge Kalb pflanzliches Eiweiß nicht verdauen könne. Kraus empfahl, generell nicht unter 75 % Magermilchpulver zu gehen. Beim Fett sei darauf zu achten, dass nur »raffiniertes Pflanzenfett« verwendet wird. Die Erhitzung des Fettes führe dazu, dass sich die Fettkristalle zerkleinern und sich in der Milch besser auflösen. Bei rohem Pflanzenfett, etwa von Raps oder Sonnenblume, können die Kälber auf diese Energie nicht zugreifen. Palm- und Kokosfett sei erhitzt und als »ordentliches Fett« für Milchaustauscher geeignet.
Metabolische Programmierung
Je mehr die Kälber in den ersten Lebenswochen aufnehmen, desto weniger haben sie im späteren Leben Stoffwechselprobleme: Pro 100 g Zunahme in den ersten Wochen geben die Tiere als Jungkühe 150 l mehr Milch: Das Energieniveau von der zweiten bis achten Lebenswoche sei entscheidend für die Anlage des Funktionsgewebes der Euteranlage. Eine später erhöhte Versorgung kann einen Mangel nicht mehr ausgleichen. Die Programmierung der Euteranlage sei also mit acht Wochen abgeschlossen.
Tipps vom Experten
Bei ad libitum darf sich der Landwirt aber nicht erschrecken: Hier sei der Kot deutlich weicher, was aber ganz normal und kein Durchfall sei. Es sei zwar vorgeschrieben, früh schon Wasser und Futter vorzulegen, bis zum 35. Lebenstag sei die Futteraufnahme aber ziemlich überschaubar, egal ob die Tränke rationiert oder ad libitum verabreicht wird. Kraus riet zur Ansäuerung in flüssiger Form (in der Regel eine Kombination von mehreren verschiedenen Säuren zur breiten Abdeckung des Erregerspektrums) und mit Wasser vorverdünnt (1:4) anzuwenden. Hier werden dann Ungenauigkeiten bei der Dosierung und die Ausflockung vermieden. Wichtig sei die Zulassung der Säuren als Futtermittel. Und warme Milch wird lieber getrunken, vor allem im Winter. Restmilch wird in Triesdorf den älteren Kälbern in Gruppenhaltung verabreicht. Tägliches Reinigen der Tränkeeimer hält Kraus bei angesäuerter Milch nicht für zwingend erforderlich. Beim Kälberfutter ist das Wichtigste, dass das Futter schmeckt. Sowohl Getreide, als auch Rauhfutter sind für eine gute Ausbildung der Pansenzotten nötig: Nur Stärke zieht die Zotten nach außen, Heu bringt Pansenvolumen. Optimal ist eine Kombination von Kraftfutter und Raufutter. Isomaltulose-Melasse (enzymatisch bearbeitete Melasse aus der Zuckerrübe) – fast fließfähig wie Wasser und geschmacklich beinahe wie Gummibärchen – regt zum Fressen an.
Bei Erregern wie etwa Coli, Rota Corona, Kryptosporidien, Chlamydien oder Kokzidien im Stall muss Desinfektion und Hygiene angegangen werden, eventuell sogar Mutterschutzimpfung. Bei Durchfall muss man den Erreger kennen. Wenn bei fünf Kälbern kein Erreger festgestellt wird, liegt es an der Tränke.
Franz Kustermann