Stress macht Kälber krank!
Stress kann von uns Menschen positiv, aber auch negativ wahrgenommen werden. Jedoch wird erhöhter Stress bei uns Menschen auch als Risikofaktor für Erkrankungen beschrieben. Dass dies bei Kälbern ebenfalls so ist und welche physiologischen Reaktionen Stress bewirkt, wird nachfolgend erläutert.
In der Milchviehproduktion müssen sich die Kälber, Jungrinder und Kühe täglich mit einer Vielzahl von Stressoren unterschiedlichster Art auseinandersetzen. Als potenzielle Stressoren können z.B. die Geburt, sozialer Stress (Rangkämpfe, Kuh-Mensch-Beziehung), die Fütterung, die Haltung (Laufstall, Anbindehaltung, Gruppenhaltung), die Umwelt (Hitze oder Kälte) und andere wirken. In Abhängigkeit vom Alter der Tiere verändern sich potenzielle Stressoren, die die biologischen Leistungen sowie die Gesundheit der Tiere nachhaltig beeinflussen können.
Um den Einfluss von Stress in Hinblick auf die Gesundheit beurteilen zu können, ist ein besseres Verständnis von Stressoren und deren Reaktionen im Stoffwechsel notwendig, um mit Hilfe von Managementmaßnahmen den Einfluss dieser Stressoren zu kontrollieren.
In der Abbildung sind potentielle Stressoren in einer Zeitachse von der Geburt bis nach dem Abtränken von Kälbern dargestellt. Es gilt, die Basis für eine erfolgreiche Milchpurduktion bereits zum Zeitpunkt der Geburt des Tieres zu legen, da die Geburt selbst als „Stress“ für Kuh und Kalb und somit als Risiko für die Tiergesundheit und darauffolgende Leistungsfähigkeit betrachtet werden kann.
Zusätzlich beeinflusst Stress das Immunsystem von Tieren, wodurch eine adäquate und angepasste Immunreaktion z.B. bei Impfungen oder Erkrankungen bei gestressten Tieren nicht oder nur unzureichend möglich ist. Neben Stressoren, die eine physiologische Reaktion auslösen, werden auch Stressoren genannt, die zu einer entzündlichen Reaktion bei den Kälbern führen können. Da die Geburt ein sehr sensibler und entscheidender Zeitpunkt für Kalb und Kuh ist, sollten Stressoren bei Geburten auf ein Minimum reduziert werden.
Geburtshilfe ja, aber richtig
Als potenzieller Stressor ist hierbei eine häufig unnötige oder nicht angepasste Geburtshilfe zu nennen. Eine Geburtshilfe kann je nach Art und Ausmaß zu Schäden (Knochenbrüchen, Gewebeschäden, etc.) bei der Kuh, aber auch beim Kalb führen, was eine Entzündung nach sich ziehen kann. Aus Studien ist zudem bekannt, dass Kälber, die durch Geburtshilfe zur Welt gebracht werden, schlechter die Immunglobuline aus dem Kolostrum aufnehmen können und dadurch schlechter versorgt und somit krankheitsanfälliger sind. Eine Geburtshilfe sollte also immer gut überlegt sein und angemessen umgesetzt werden, ganz nach dem Spruch: „Wer eine adäquate Geburtshilfe leisten möchte, muss viel Wissen besitzen, um wenig zu tun!“ Das Kolostrummanagement besitzt in Hinblick auf die Entwicklung des Immunsystems sowie eine spätere kompetente Immunreaktion eine fundamental wichtige Rolle. Deshalb sollten die Kälber so schnell wie möglich nach der Geburt so viel wie möglich qualitativ hochwertiges Kolostrum erhalten. Hier hat sich bewährt, die Kuh direkt nach der Kalbung in der Abkalbebox zu melken und das Kalb direkt in der Abkalbebox bei Anwesenheit der Mutter zu tränken. Der Transport des Kalbes in ein Iglu bedeutet weiteren Stress für das Kalb, wodurch die Kolostrum- und die Immunglobulinaufnahme negativ beeinflusst werden kann.
Nach der Kolostrumversorgung werden viele Kälber in den ersten 14 Lebenstagen im Iglu gehalten. Nach 14 Tagen werden die männlichen Tiere verkauft und die weiblichen Tiere in die Gruppenhaltung umgestallt. Der Umzug in die Gruppe ist als weiterer potenzieller Stressor zu betrachten, da sich die Tiere mit neuen Stallgefährtinnen, einer neuen Tränketechnik, einem neuen Stall, anderen Erregern, neuem Futter (z.B. Kraftfutter), etc. auseinandersetzen müssen. Da Kälber zwar mit einem vollständig ausgestatteten, aber noch nicht adäquat arbeitenden Immunsystem geboren werden, wird das Immunsystem langsam von einer passiven Immunisierung hin auf eine aktive Immunisierung adaptiert, was zur sogenannten Immunitätslücke führt (Abbildung).
Werden die Tiere nun am 14. Lebenstag umgestallt, ist dieser Zeitpunkt im Hinblick auf die Immunität als sehr sensible Phase einzustufen, wodurch die Krankheitsanfälligkeit bei den Tieren deutlich ansteigen kann. Werden Kälber am Tag der Umstallung geimpft (z.B. gegen BRSV oder Parainfluenza), so ist aus Studien bekannt, dass die Impfreaktionen bei diesen Tieren aufgrund der genannten Stressoren deutlich geringer ausgeprägt sind als bei Tieren, die im Iglu zum gleichen Zeitpunkt geimpft, jedoch später umgestallt wurden. Das Enthornen der Kälber sollte außerhalb der Immunitätslücke durchgeführt werden, um den Stress sowie die Wahrscheinlichkeit von Folgeerkrankungen zu vermindern.
Als weiterer einschneidender Stressor ist das Abtränken zu bezeichnen. Denn dabei werden die Tiere von der Milch auf andere Futtermittel (Kraftfutter, TMR, Heu) umgestellt. Traditionell wurden Kälber innerhalb des ersten bis dritten Lebensmonats in der Milchviehhaltung abgetränkt. Im Gegensatz dazu werden z.B. die Kälber von Mutterkühen natürlicherweise mit einem Alter von ca. zehn Monaten über mehrere Wochen langsam abgetränkt.
Abtränken – so wichtig ist der richtige Zeitpunkt
Der optimale Abtränkezeitpunkt sowie das richtige Abtränkeregime werden zur Zeit wissenschaftlich sehr intensiv untersucht und diskutiert. Aus aktuellen Studien ist bekannt, dass ein zu frühes Abtränken der Kälber zu einer massiven Bremsung des Wachstums führt, was die Tiergesundheit negativ beeinflusst. Werden Kälber bis zu einem Alter von sechs Wochen im Vergleich zu acht Wochen abgetränkt, so erzielten die mit sechs Wochen abgetränkten Kälber signifikant geringere Tageszunahmen nach dem Abtränken im Vergleich zu Kälbern, die mit acht Wochen abgetränkt wurden. Als Grund hierfür wird eine nicht vollständig ausgereifte Pansenflora angeführt, weshalb die Energieaufnahme über Kraftfutter, TMR, etc. in diesem Alter nur sehr schwierig zu realisieren ist. Schließlich muss sich das gesamte Vormagensystem erst langsam entwickeln. Das Kalb ist schlichtweg durch das noch unvollständig entwickelte Pansenmileu nicht in der Lage, ausschließlich Kraftfutter und Raufutter zu verdauen, sondern braucht in erster Linie Milch. Darüber hinaus ist belegt, dass Kälber, die in einem sehr jungen Alter (innerhalb der ersten sechs Lebenswochen) abgetränkt werden und dadurch früh Kraftfutter aufnehmen, Entzündungen im Magen-Darm-Trakt entwickeln können. Diese Entzündungen in den Darmzellen führen zu Problemen bei der Aufnahmefähigkeit von Nährstoffen durch diese Zellen, wodurch z.B. auch die Barrierefunktion deutlich reduziert wird. Giftstoffe, z.B. Endotoxine, oder unerwünschte Stoffe gelangen so durch den Darm in die Blutbahn. Aus den genannten Gründen sollte bei Kälbern besser ab der achten Lebenswoche mit dem Abtränken begonnen werden und schrittweise und nicht abrupt vonstattengehen.
Dr. Christian Koch, Dr. Theresa Scheu, DLR Westpfalz, Hofgut Neumühle