Kälberhaltung: Grundstein für eine erfolgreiche Aufzucht

14. April 2021

Auch wenn ein gutes Kolostrummanagement aufwendig ist, ist es die beste Maßnahme zur Gesunderhaltung der Nachzucht.

Die im Kolostrum enthaltenen Immunglobuline liefern dem Kalb wichtige Abwehrstoffe. Foto: Kathrin Wiedemann

Innerhalb der Milchviehhaltung gewinnt die Nachzucht zunehmend an Aufmerksamkeit: In der derzeitigen Situation fordert ein von Wachstum geprägtes Marktumfeld ständig neue gut und gesund entwickelte Kälber. Es ist mittlerweile allgemein bekannt, dass Färsen, die als Kalb Erkrankungen wie Durchfall oder Lungenentzündung überstehen mussten, später geringere Leistungen zeigen, außerdem ist das Abgangsrisiko dieser Tiere durchweg höher. Trotzdem lässt der Erfolg der Kälberhaltung nicht selten zu wünschen übrig und eine an Standards ausgerichtete Überprüfung des Erfolgs findet zu selten statt.

Anzustrebende Ziele

Eine erfolgreiche Aufzucht beginnt schon mit der Abkalbung, deren Ergebnis in Deutschland eine Totgeburtenrate von etwa 8 % aller geborenen Kälber beträgt. Weitere 10 % der Tiere überstehen die Aufzuchtphase nicht. Insgesamt geht also fast jedes fünfte Kalb verloren und steht nicht mehr für betriebliches Wachstum, genetische Verbesserung oder Verkauf zur Verfügung. Hierbei ist vor allem die Aufzucht selbst das Problem – Erkrankungen der Jungtiere könnten wesentlich weniger verlustreich sein, wenn den Kälbern die bestmögliche Umgebung zu einem produktiven Leben gegeben würde.

Folgende Richtwerte sollen darstellen, was eine gute Kälberhaltung vermag und welche Ziele anzustreben sind:
👉 Innerhalb von 60 Tagen:
👉 Verdopplung des Geburtsgewichts
👉 weniger als 5 % Verlust
👉 Vorkommen von Durchfall: weniger als 25 %
👉 Vorkommen von Lungenerkrankungen bei unter 10 %

Von zentraler Bedeutung ist nach wie vor der Umgang mit dem Kolostrum. Obwohl die Bedeutung dieser ersten Mahlzeit im Leben des Kalbes allgemein bekannt ist, kann doch häufig ein nicht optimaler Umgang mit Kolostrum beobachtet werden. Auf vielen Betrieben erfolgt die Gewinnung, Lagerung und Verfütterung von Kolostrum nach wie vor unsystematisch und kann leicht durch Personalwechsel, Arbeitsbelas-tung oder andere Faktoren außer Kontrolle geraten. Daher sollen im Folgenden einige Risikofaktoren aufgezeigt werden, deren Kontrolle ein gutes Kolostrummanagement ermöglicht.

Risikobereich 1: Qualität

Die Funktion des Kolostrums besteht darin, dass das Kalb mit Abwehrstoffen (Immunglobulinen) ausgestattet wird, die es selber noch nicht besitzt. Die Aufnahme von Kolostrum kann daher mit einer Schluckimpfung verglichen werden, die dem Kalb die Möglichkeit gibt, sich mit den überall vorhandenen Krankheitserregern auseinanderzusetzen. Hierbei gilt die einfache Rechnung, dass der Schutz des Kalbes umso besser ausfällt, je höher die Qualität des Kolostrums ist.

Eine optimale Qualität des Kolostrums ist nur zu erreichen, wenn die Muttertiere schon einige Wochen auf dem Betrieb verbracht haben und sich so mit der stallspezifischen Keimflora auseinandersetzen konnten. Kritisch ist dies insbesondere bei Erstkalbinnen zu sehen, die unter Umständen auf einer anderen Betriebsstelle aufgezogen und belegt wurden, um erst kurz vor der Kalbung zum Hauptbetrieb zurückzukehren. Die Kolostrumqualität als Konzentration von Immunglobulinen steigert sich außerdem mit zunehmendem Alter der Tiere. Bei Erst- und Zweitkalbskühen kann sich die Verfütterung von Mischkolostrum, d.h. zusammen mit Kolostrum älterer Kühe, als vorteilhaft erweisen.

Bereits lange in Gebrauch, aber immer wieder zu betonen ist der Nutzen von Muttertierimpfungen. Hierbei wird dem Muttertier in der Trockenstehzeit eine Impfung verabreicht, die zu einer Erhöhung der Immunglobulinkonzentration im Kolostrum führt. Über den Weg des Muttertiers und des Kolostrums wird so eine »indirekte« Impfung des Kalbes, vor allem gegen Durchfallerreger, erreicht.

Diverse Hilfsmittel

Zur Überprüfung der Kolostrumqualität stehen relativ einfache Hilfsmittel zur Verfügung. Zu nennen ist hierbei das Spindelsystem (Kolostrometer), welches anhand des spezifischen Gewichts einen Rückschluss auf die Kolostrumqualität zulässt. Das Gerät ist einfach in der Anwendung, günstig (unter 20 EUR) und für Betriebe mit gutem Allgemeinzustand ausreichend.

Refraktometer messen demgegenüber die optische Dichte der Proteinfraktion und erlauben eine genauere Bestimmung der Qualität. Anzustreben ist ein Wert von 50 g/l an Immunglobulinen, was bei den Refraktometern einem Wert von 22 % Brix entspricht. Die Geräte sind stabil, einfach in der Anwendung und schwanken im Preis deutlich von etwa 75 EUR (optisch) bis über 400 EUR (digital).

Risikobereich 2: Hygiene

Was für die »normale« Milchgewinnung gilt, ist für die Kolostrumgewinnung umso wichtiger – Sauberkeit ist ein zentraler Risikofaktor. Allerdings stellt gerade die Gewinnung von Kolostrum eine hygienische Herausforderung dar, da das Melken frisch abgekalbter Tiere nicht selten noch im Abkalbestall erfolgt. Jede Verunreinigung des Kolostrums mit Bakterien ist aber unbedingt zu vermeiden, da die Biestmilch ein ideales Nährmedium darstellt.
Coliforme Bakterien als Hauptproblem verdoppeln ihre Masse innerhalb von 20 Minuten, sodass selbst kleine Verunreinigungen das Kalb gefährden.
Anzustreben ist eine Menge von maximal 5.000 KBE (koloniebildende Einheiten) pro ml, nicht selten sind aber Werte von mehr als 100.000 KBE/ml zu finden. (Zur Erinnerung: Der Grenzwert für abgelieferte Milch liegt bei 50.000 KBE/ml für die S-Klasse.) Praktisch bedeutet das, dass auch beim ersten Melken eine Melkroutine einzuhalten ist, und dass das Euter bestmöglich gereinigt werden muss. Auch gelten für die häufig verwendeten Eimermelkanlagen die gleichen Regeln wie für »normale« Anlagen: Sie müssen sauber sein, regelmäßig desinfiziert und sollten beim Gebrauch, z.B. im Abkalbestall, nicht verschmutzt werden.
Wird Kolostrum gelagert, das heißt nicht sofort verwendet, so ist hier besonders darauf zu achten, dass es nicht offen und ungekühlt stehen bleibt, weil das zu einer Explosion von Bakterien führen würde. Außerdem ist hier unbedingt zu vermeiden, dass ein Kolostrum-Pool, d.h. Kolostrum von mehreren Kühen gemischt, entsteht.
Neben der Verschmutzung ist auch auf die Bedeutung des Kolostrums als Überträger für Krankheiten hinzuweisen: Kolostrum kann Krankheiten übertragen, und insbesondere bei der Bekämpfung von Paratuberkulose wird dies diskutiert. Es sind mittlerweile einige Systeme auf dem Markt, die über die Pasteurisierung von Kolostrum einen besseren Hygienestatus erreichen sollen.
Eine Pasteurisierung auf 60° C für eine Stunde wird allgemein empfohlen. Der Gebrauch dieser Systeme ist sinnvoll und kann den Hygienestatus verbessern, allerdings können diese Systeme kein Ersatz für hygienische Kolostrumgewinnung sein.

Risikobereich 3: Zeit und Menge

Schnelligkeit ist bei der Gewinnung, Lagerung und Verfütterung von Kolos-trum ein entscheidender Faktor. Jede Verzögerung wirkt sich sofort auf die Qualität aus bzw. auf die Wirksamkeit des Kolostrums im Kalb. Die häufig zu beobachtende Praxis, dass eine abgekalbte Kuh erst zur nächsten regulären Melkzeit gemolken wird, ist aus zwei Gründen abzulehnen:
👉 1. Je mehr Zeit zwischen Kalbung und Kolostrumgewinnung liegt, umso geringer die Qualität. Innerhalb von sechs Stunden verliert das Kolostrum knapp 20 % der Immunglobuline, innerhalb von zehn Stunden sind es knapp 30 %. Die Qualität wird so fahrlässig beeinträchtigt.
👉 2. Die Fähigkeit des Kalbes, die im Kolostrum enthaltenen Abwehrstoffe aufzunehmen, sinkt mit der Zeit. Man spricht hierbei von der Schließung der Darmschranke, sodass selbst gutes Kolostrum nicht mehr den gewünschten Effekt hat. Bereits nach sechs Stunden sinkt die Fähigkeit des Kalbes zur Aufnahme um rund ein Drittel, nach 24 Stunden beträgt die Menge der aufgenommenen Immunglobuline nur noch rund 10 %.

Neben der Zeit entscheidet die absolut vom Kalb aufgenommene Menge des Kolostrums über den Erfolg. Es kann schwierig sein und kostet auch Zeit, eine Menge von 2 l Kolostrum innerhalb von zwei Stunden nach der Geburt einzugeben, aber das sollte das Ziel sein. Wird das erreicht und außerdem sichergestellt, dass innerhalb von weiteren vier Stunden 4 l verabreicht werden, so ist das Optimum an Kolostrumversorgung erreicht. Die Eingabe mit einem Kälberdrencher ist hierbei als Option zu sehen, falls eine ausreichende Kolostrumversorgung anderweitig nicht sichergestellt werden kann.

Risikobereich 4: Kontrolle

Wie bereits angesprochen, sollte eine regelmäßige Kontrolle Bestandteil eines guten Kolostrummanagements sein. Neben der Kontrolle von Kolos-trumqualität und -hygiene, der regelmäßigen Überprüfung von Anlagen und der Aufnahme sollte auch regelmäßig die Übertragung von Immunglobulinen auf das Kalb selbst überprüft werden. Das geschieht mittels der Bestimmung des Gesamteiweiß im Blutserum des Kalbes, welche einen Hinweis auf die aufgenommene Menge von Immunglobulinen gibt.

Frühzeitig handeln

Für die allermeisten Betriebe ist das eine Aufgabe, die mit dem Tierarzt zusammen regelmäßig vorgenommen werden sollte. Hierzu wird von Kälbern, die ein oder zwei Tage alt sind, eine Blutprobe entnommen und diese dann im Labor untersucht. Für eine schnellere Analyse stehen auch Refraktometer zur Verfügung. Ein Gesamteiweiß von 55 g/l wird als Hinweis auf eine ausreichende Kolostrumaufnahme gesehen. Praktisch sollte diese Kontrolle stichprobenartig erfolgen, und zwar auch dann, wenn noch keine Hinweise auf Probleme in der Kälberversorgung bestehen. Hierzu kann beispielsweise einmal im Monat bei neugeborenen Kälbern die Probenentnahme erfolgen, wobei Veränderungen in den Ergebnissen auf Schwierigkeiten im Umgang mit Kolostrum hindeuten.
Dr. Joachim Lübbo Kleen

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