Kälberaufzucht paarweise?

27. Mai 2021

Werden wir in Zukunft unsere Kälber paarweise aufziehen? Ist das nur eine verrückte Idee oder „DAS” Modell für die Zukunft? Erfahrt heute mehr über verschiedene wissenschaftliche Versuche dazu, welche Vorteile es gibt und was ihr beachten müsst, wenn ihr Milchviehkälber paarweise halten wollt.

Rinder sind von Natur aus Herdentiere und fühlen sich nur in Gemeinschaft wohl. In der modernen Milchviehhaltung dagegen versucht man aber gerade zur Gesunderhaltung und Infektionsabwehr in den ersten Lebenswochen die Kälber durch Abschottung in Einzelhaltung zu „isolieren”.

Was in der Praxis meist gut funktioniert, wird vom Gesetzgeber aber aus Tierwohlgründen „torpediert”! Kälber müssen als „Herdentiere” ab Geburt Sicht- und Berührungskontakt zu ihren Artgenossen haben können, was vielerorts Unverständnis und Kopfschütteln hervorruft. Aber man weiß, dass Trennung und isolierte Einzelhaltung für Kälber erheblichen Stress bedeutet.

Ein Konzept, das einen Ausweg aus diesem Dilemma bietet und allen gerecht wird, setzt sich nun langsam mehr und mehr durch: Die paarweise Haltung und Aufzucht von Milchviehkälbern!

Wie kam es dazu?

An der Universität in British Columbia in Vancouver fanden Wissenschaftler vor rund zehn Jahren heraus, dass Kälber ein zweites weiteres Kalb als vollwertigen Herdenersatz anerkennen. Man hatte zuvor unterschiedliche Szenarien der Haltung untersucht, wie das Belassen in der Kuhgruppe, eine frühe paarweise Haltung ab dem zweiten Lebenstag oder ein späteres Zusammenführen ab dem zehnten oder gar 30. Tag. Es stellte sich heraus, dass das frühe „Gruppieren” in Zweiergruppen in der Entwicklung der Kälber in vollem Umfang dem Belassen bei den Kühen entsprach und sehr viele Vorteile bot.

Die Kälber in Paaren wachsen im Vergleich zu Kälbern in der Einzelhaltung nicht nur deutlich besser, weil sie sich gegenseitig zur Futteraufnahme ermuntern, sondern sie sind auch gegenüber neuen und unbekannten Futtermitteln wesentlich aufgeschlossener.

Paarweise aufgezogene Kälber erzielen höhere Lebendgewichtszunahmen vor und nach dem Absetzen im Gegensatz zu einzeln gehaltenen Kälbern

Das Anlernen und Gewöhnen an neue Futtermittel gerade nach dem Absetzen bringt generell ein erhöhtes Azidoserisiko für Kälber mit sich. Die paarweise aufgezogenen Kälber brauchten in Versuchen rund 9h nach dem Absetzen und Gruppierung mit Kälbern aus der Einzelhaltung, um Festfutter aufzunehmen. Die vorher in Einzelhaltung aufgezogenen Kälber brauchten dagegen aber 5x länger, nämlich 48 h! Sie verloren in dieser Zeit 2,5 kg Gewicht, zeigten über die folgenden 2 Wochen wechselnde Tageszunahmen mit ungesundem, azidosetypischen Fütterungsverhalten. Auch der Absetzstress ist bei paarweisen Kälbern deutlich geringer. Setzt man diese ab, „beschweren” sie sich deutlich weniger und lautstark, als man das von Einzelkälbern her kennt.

Die Kälber werden insgesamt positiv geprägt, entwickeln ein geringeres Stresslevel, sind neugieriger und dem „Pflegepersonal” gegenüber weniger ängstlich und deutlich kooperativer eingestellt. Ein Aspekt, der vor allen Dingen um die Abkalbung voll zum Tragen kommt und das Arbeiten mit den Tieren auf Jahre hinaus wesentlich angenehmer macht.

Es zeigte sich zur Verblüffung der Wissenschaftler, dass die „Pärchenkälber” auch zu intelligenteren Tiere heranwachsen. In einem Futterbelohnungsversuch mussten die Kälber erst lernen mit der Nase einen roten, aufblinkenden Computerbildschirm zu berühren, damit dann ein Sauganrecht freigegeben wurde. Die Pärchenkälber lernten dieses Verhalten in 13 Sitzungen tendenziell schneller. Vertauschte man nun die Bedingungen zur Belohnung, in dem ein aufblitzender weisser Bildschirm statt der roten Farbe das Ziel war, so schafften 80% der Pärchenkälber mit dieser umgekehrten Situation umzugehen. Die Einzelkälber scheiterten dagegen fast alle bei dieser Transferleistung mit umgekehrten Vorzeichen. Das heisst für das praktische Management und den Umgang mit den Tieren, dass Treibwege, Ausläufe, Buchten- oder Gruppenwechsel, neue Stallgefährten oder auch Personalwechsel schneller und leichter akzeptiert werden. Daraus folgt weniger Stress, geringeres Erkrankungs- und Abgangsrisiko und geringere Zellzahlen.

Robustere Kälber

In einem weiteren Versuch zeigte es sich, dass das Erkrankungsrisiko bei der Pärchenhaltung gegenüber der Einzelhaltung bis zum Absetzen ebenfalls deutlich geringer ausfällt. Die „Gruppenkälber” haben rund 2/3 weniger Durchfall und 50% weniger Lungenentzündungen. Die beiden jeweils etwa gleichaltrigen Kälber bilden eine sogenannte „Infektionseinheit”, die über die immunologische Lücke hinaus ein deutlich reduziertes Infektionsrisiko aufweist. Es muss nämlich keine Umstellung oder Umstallung erfolgen, die beiden Tiere bleiben bis zum Absetzen zusammen und es kommt zu keinem „Risiko”-Kontakt mit anderen Tieren.

Als einziger, ernst zu nehmender, möglicher negativer Aspekt, muss die Gefahr des gegenseitigen Besaugens genannt werden. Dies geschieht, wenn die Tiere über die Tränke nicht oder nicht schnell genug satt werden. Es sollte deshalb bei der paarweisen Aufzucht eine intensive bzw. eine ad libitum Tränke zum Einsatz kommen.

Pärchenhaltung ist sowohl in der Aussenhaltung in Iglus (Superhutches oder zwei nebeneinanderstehende Iglus) möglich sowie in der Innenhaltung mit Boxen, deren Zwischenwände herausgezogen werden können und so bequem und schnell eine Gruppenbildung erlauben.

Eine technisch sehr interessante Neuentwicklung in diesem Bereich stellt die automatisierte Fütterung für Tränkekälber mit dem CalfRail der Firma Förster-Technik dar.

Wir sehen uns! Euer Kälberblogger Peter Zieger

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