H-Stall – ein Konzept aus der Praxis
Mit dem sogenannten H-Stall hat es ein amerikanisches Kälberstallkonzept über den Ozean zu uns geschafft. Wir zeigen, wie es ein hessischer Betrieb in die Praxis umgesetzt hat.
Anders als bei Neubauvorhaben von Kuhställen lässt sich bei der Planung von Kälberställen noch nicht detailliert vorhersagen, ob das System an diesem Standort den Bedürfnissen der Kälber dann tatsächlich auch entspricht und gerecht werden kann: Kuhställe sind keine Kälberställe und umgekehrt! Denn die Einflussfaktoren auf deren Wohlbefinden sind vielfältiger als bei Kühen, zudem reagieren Kälber sehr empfindlich gegenüber extremem Klima und im Speziellen Klimaveränderungen: Kälber haben im Gegensatz zu erwachsenen Rindern noch kein ausgereiftes Immunsystem, sind zehnmal anfälliger gegen Zugluft als Kühe und können zudem auch Luftfeuchtewechsel nicht gut kompensieren.
Ein Stallsystem, das diesen Besonderheiten bei Kälbern Rechnung trägt und viele spezielle Bedürfnisse der Kälber in idealer Weise erfüllt, ist seit gut 17 Monaten im hessischen Reuters bei Lauterbach in Betrieb. Dort hat sich Lisa Köhler, Tierärztin und Landwirtin, ihren Traum vom gut funktionierenden und arbeitssparenden Kälberstall erfüllt. Mit viel Herzblut haben sie und ihr Mann Johannes nach dem Vorbild aus Wisconsin nun hierzulande den ersten deutschen »H-Stall« realisiert. Die Ergebnisse bislang geben den Köhlers mehr als Recht.
Warum H-Stall?
Der Name ist von der Grundrissform des Stalles abgeleitet, von oben gesehen sieht der Stall aus wie der Großbuchstabe »H«. Erfinder dieses besonderen und dabei auch optisch sehr ansprechenden Kälberstallbaukonzeptes ist der Landwirt Pete Kappelman aus Greenbay im Nordwesten von Wisconsin. Er bewirtschaftet mit seinen Kindern einen 450-Kuh-Betrieb mit einer imposanten Durchschnittsleistung von 15 500 kg. Über zehn Jahre lang machte er sich Gedanken, wie der aus seiner Sicht perfekte Kälberstall aussehen könnte. Er belegte Kurse über Klima, Lüftung und Kälberverhalten und entwickelte daraus das H-Stall-Konzept, das die Köhlers nun in etwas kleinerem Maßstab für ihre 150-Kuh-Herde umgesetzt haben. Über einen zentralen Bewirtschaftungs- und Versorgungsraum gelangt man zu den vier einzelnen Stallabteilen. Das garantiert nicht nur kurze Wege, sondern ist auch aus hygienischer Sicht sehr positiv zu bewerten. So gelangen keine Unbefugten in die Stallabteile und jeder Zugang zu den einzelnen Abteilen kann mit einer Desinfektionsmatte oder extra Stallstiefeln zusätzlich noch weiter »geschützt« werden.
Kälberkomfort vom Feinsten
Die Abteile werden komplett mit Stroh eingestreut, und jedes Kalb hat bis zu 8 m² Platz zur Verfügung. Auffallend hell ist es, weil die Abteile relativ hoch sind – bis zu 4,50 m an den Außenseiten – und von drei Seiten viel Licht, aber auch Frischluft einfallen kann. Während an den beiden Längsseiten computergesteuerte Vorhänge das Klima und den Lichteinfall regeln, ist jeweils ein Vorhangrolltor an der Stirnseite angebracht. Darüber erfolgt auch das Einstreuen und Misten. Ein weiteres Kennzeichen des H-Stalles ist die Überdruckbelüftung mittels Schläuchen. An der nördlichen Stirnseite sitzen auf 3,60 m Höhe zwei Ventilatoren, die gezielt Frischluft einbringen, ohne jedoch Zugluft zu verursachen. Damit lassen sich bis zu sechs komplette Luftwechsel im Stall pro Stunde realisieren.
Von der Sonne verwöhnt
Die Ausrichtung der Längsschenkel des Stallgebäudes Richtung Südwesten ist eine weitere Besonderheit: Hier fällt am meisten Tageslicht ein und Köhlers nutzen zusätzlich den Sommer-Winter-Effekt der Sonneneinstrahlung. Das Pultdach ist mit seinem Dachüberhang so zum Stand der Sonne ausgerichtet, dass die Sommersonne nicht die Liegeflächen aufheizen kann, wohl aber die tieferstehende Wintersonne durch die Lichtplatten am First solch einen gewünschten Effekt hat. Das bringt mehrere Grad Celsius Unterschied im Stall zur Außentemperatur im Winter und hilft dadurch zudem, die Luftfeuchte konstanter zu halten. Die Kälber kommen, nachdem sie die ersten Tage gut mit Kolostrum und anschließend Transitmilch am Kuhstall-Standort (ca. 200 m entfernt zum Kälberstall) versorgt wurden, am siebten Lebenstag in den Stall und saugen bis zum 84. Lebenstag am Tränkeautomat (50 Tage davon ad libitum), ehe sie wieder vom Milchpulver abgetränkt werden. Sie verbleiben dann noch ein bis zwei Wochen im Stall in der Gruppe, bevor sie in den nahegelegenen Jungrinderstall komplett als Gruppe auch umziehen. Gemistet wird nur einmal beim Ausstallen nach 15 Wochen, das spart erheblich an Arbeitszeit – eingestreut wird einmal pro Woche. Köhlers erzielen bei den Kälbern Tageszunahmen von fast 1 100 g im Schnitt.
Gesunde Tiere
Seit Anfang 2023 haben sie insgesamt mehr als 120 Kälber im Stall gehalten und kein einziges Kalb musste seitdem wegen einer Erkrankung behandelt werden. Als einzige Vorbeugemaßnahme bekommen die Kälber in der ersten Lebenswoche eine intranasale Grippeschutzimpfung. Durchfall ist seitdem ebenfalls ein Fremdwort. Lisa Köhler erzählt nicht ohne Stolz, dass der Stall und die Kälber »richtig gut funktionieren«. Die Kälber rennen sehr oft im Stall herum, spielen und springen nach Herzenslust, ohne auch nur einmal zu husten. Dabei sind sie sehr gut proportioniert, sauber und ihr Fell glänzt. Während ihr Mann am Anfang eher skeptisch war, weil der H-Stall trotz viel Eigenleistung im Vergleich zu anderen Systemen etwa 20 % teurer ist, war Lisa Köhler immer von der Idee überzeugt. »Ich würde jederzeit wieder diese Stallform wählen, lediglich den Zugang vom Stallabteil in die Strohgruppe würde ich im Gegensatz zum Vorbild aus den USA am Rolltor gleich neben dem Eingang positionieren. Denn der Weg gerade beim Anlernen der jüngeren Kälber an die Saugstelle ist aktuell etwas länger.«
Der Kälbertränkeautomat, der sowohl das Tränken von Vollmilch als auch Milchaustauscher ermöglicht, ist ebenfalls ein Kennzeichen und wichtiger Bestandteil des H-Stalls, der bei minimalem Arbeitsaufwand nicht nur hohe, sondern auch sehr gleichmäßige Tageszunahmen der Kälber ermöglicht. Die erhoffte Arbeitserleichterung im Gegensatz zu den vorherigen, leidvollen Erfahrungen der Kälberhaltung in Altgebäuden ist in vollem Umfang eingetreten, »und das ist auch gut so«, entgegnet Lisa Köhler, die in Kürze in viertes Kind (innerhalb von vier Jahren!) erwartet und von daher mehr als dankbar für jede Form der Arbeitserleichterung oder Arbeitszeiteinsparung ist. Und noch mehr freut sie sich über die sehr gesunden Kälber und die absolut problemlose Aufzucht.
Die Erkenntnis ist zwar nicht neu und auch ziemlich simpel, aber es stimmt: Viel Licht, Luft, Platz und ausreichend Energie machen und halten Kälber gesund! Ein guter Kälberstall und eine gesunde Haltung bereiten Landwirten im täglichen Umgang Freude, auch wegen der durch die optimale Aufzucht große Wahrscheinlichkeit sehr langlebiger Kühe.
Dr. Peter Zieger