Blinde Flecken im Betrieb

4. Juli 2024

Milchviehhalter haben nicht nur ökonomische Herausforderungen zu bestehen, sondern auch große Verantwortung gegenüber ihren Tieren zu tragen. Trotzdem laufen Landwirte in ihrem täglichen Betriebsablauf Gefahr, betriebsblind zu ­werden. Mit Auswirkung auf den gesamten Betrieb.

Foto: Sarah Wiedemann-Höß

Betriebsblindheit bezieht sich auf die Neigung von Betriebsleitern und Mitarbeitern, sich so stark auf ihre täglichen Aufgaben, Abläufe und Gewohnheiten zu konzentrieren, dass die größeren systematischen Probleme außerhalb ihres Blickfeldes übersehen werden. Dies kann dazu führen, Probleme im Hinblick auf die Tiergesundheit und das Tierwohl zu übersehen.

Es zahlt sich aus, den Blick auf seine Kühe und deren Verhalten in den Fokus zu stellen, da es immer die Kühe sind, die Rückantwort auf das betriebseigene Management und die Haltungsbedingungen geben. Bei meiner Arbeit als Tierwohlberaterin gehe ich, unter anderem, gezielt auf das Verhalten der Tiere ein und kann dadurch Verbesserungspotenziale aufdecken. Sich die Zeit zu nehmen, das Zentrum des Interesses auf die Tiere zu lenken, öffnet dadurch so manchem Milchviehhalter die Augen. Die Tiere zu beobachten, bedeutet aber nicht nur, sich die Frage zu beantworten, ob eine Kuh brünstig ist, sondern sich ganz bewusst die Frage zu stellen: Was machen die Kühe eigentlich den ganzen Tag?

Wie viele Kühe stehen einfach nur rum, in der Absicht, etwas tun zu wollen, aber nicht zu können, zum Beispiel weil sie sich hinlegen wollen, aber aufgrund der Liegeboxenqualität zögern. Nun, wie lange brauchen also die Kühe, um sich nach Betreten der Liegeboxen hinzulegen? Können sie auch die verschiedenen Liegepositionen einnehmen? Wie lange brauchen die Kühe, um aufzustehen? Weshalb ist das so? Dies sind einige wenige Fragen, die man sich immer wieder stellen darf, da sie eine Antwort auf den Arbeitsbereich der Milchkühe geben. Eine Kuh soll täglich 14 Stunden liegen, denn dies beeinflusst die Produktivität und Tiergesundheit positiv. Auch beim Melken hat man die Möglichkeit, seine Tiere vermehrt in Augenschein zu nehmen. Bei Verschmutzungen und Verletzungen gibt dies Aufschluss über die Liegeboxenpflege und deren Qualität, sowie über die Sauberkeit der Laufgänge. Es klingt banal, aber es sind die Grundlagen, die oft in Vergessenheit geraten oder gar nicht erst in Betracht gezogen werden. Die Frage: »Haben meine Kühe alles, um gesund und produktiv sein zu können und welche betriebsspezifischen Probleme gibt es?«

Ziele setzen und Berater hinzuziehen

Als Landwirt muss man vieles können und wissen, aber da man nicht alles wissen kann, ist es von Vorteil, einmal im Jahr einen externen Berater hinzuzuziehen. Externe und unabhängige Berater haben oft ein vertiefendes Wissen und viele Betriebe gesehen. Der Blick von außen ist objektiv, zielgerichtet und nicht von interner Voreingenommenheit beeinflusst. Ein guter Berater zeigt verschiedene Optionen zur Optimierung auf und erarbeitet gemeinsam mit seinem Kunden Lösungen, die am besten zu dem Betriebsmanagement passen und umzusetzen sind. Bei einer Beratung werden Betriebsabläufe kritisch hinterfragt, um die Wurzel der Probleme zu finden. Ein Berater fungiert wie eine Art Kontrolleinheit, aber auf die schöne Art und Weise. Hilfreich ist auch, die jährliche beziehungsweise halbjährliche betriebliche Eigenkontrolle nach dem Tierschutzgesetz §11 von oder mit einem externen Berater abzuhalten. Dabei nimmt man sich nicht nur gezielt Zeit, um Tierschutzindikatoren zu bewerten, sondern bekommt durch die erhobenen Daten Rückschlüsse auf seine betrieblichen Schwachstellen. Durch das Hinzuziehen eines Externen besteht die Gefahr nicht, abermals in die Falle der Betriebsblindheit zu tappen. In weiterer Folge hilft es, ein Ziel zu formulieren, welches in einer definierten Zeit zu erreichen ist. Dieses schafft die notwendige Verbindlichkeit sich selbst gegenüber. Das Erreichen des gesetzten Zieles schafft ein Erfolgserlebnis, welches die Motivation hochhält und auch den Betrieb produktiver macht. Neue Ziele zu setzen, bedeutet auch eine Veränderung der täglichen Arbeitsroutine, dazu muss man oft auch seine Komfortzone verlassen, dies kann herausfordernd sein und einen dazu zwingen, über seine eigenen Grenzen hinausgehen zu müssen. Trotz einer Zusammenarbeit mit einem Berater muss einem bewusst sein, dass die gewünscht Optimierung dennoch immer aus sich heraus erarbeitet werden muss.

In meinen Beratungsgesprächen mit den Milchviehhaltern, decke ich die Optimierungsmöglichkeiten des Betriebes auf. Oft wird die Frage, warum man dieses oder jenes so macht, damit beantwortet, dass man sich keine weiteren Gedanken über die Optimierung des Ablaufes gemacht, sondern einfach zum Teil von seinen Eltern übernommen hat. Wie zum Beispiel bei jedem Melken neue Handschuhe anzuziehen, und/oder darauf zu verzichten, einen Euterlappen pro Kuh zu verwenden. Diese gängige Praxis wird auf dem Betrieb seit Generationen angewendet und das damit verbundene Risiko, Bakterien von Kuh zu Kuh zu übertragen und somit die Eutergesundheit zu gefährden, ist bei diesem Arbeitsablauf noch nicht ins Bewusstsein gerückt. Leider sind oft erst eine schlechte Eutergesundheit und kranke Kühe Beweis dafür, dass die wissenschaftliche Erkenntnis zu diesem Thema auch Relevanz für die Praxis hat.
Genauso verhält es sich auch mit Problemen in der Kälberaufzucht, welche durch Optimierung des betriebsindividuellen Managements verringert werden können. Das Festhalten an den traditionellen Praktiken, wie zum Beispiel, Kälber restriktiv zweimal täglich zu tränken, bedeutet auch tierfreundlichere Methoden zu ignorieren oder sich noch nicht ausreichend mit der Lösung des Problems auseinandergesetzt zu haben.

Leider kann es innerhalb eines Betriebes auch vorkommen, dass die Abläufe von einem optimiert werden wollen, aber dieses Vorhaben von anderen nicht ausreichend unterstützt oder sogar sabotiert wird. Um einen Betrieb in der heutigen Zeit wirtschaftlich und im Sinne der Tiergesundheit zu führen, braucht es mehr als eine Person mit einem Ziel vor Augen, es braucht ein Team, welches täglich gemeinsam daran arbeitet. Dafür ist es hilfreich, es nicht persönlich zu nehmen, wenn Abläufe verändert werden wollen, schließlich lernen wir im Leben alle nicht aus.

Handeln ist ein Erfolgsfaktor

Der Wille der Tierhalter, etwas zum Besseren für seine Kühe zu verändern, ist groß, doch womit fängt er an? Hier ist es hilfreich, sich ehrlich zu hinterfragen, ob man gewisse Entscheidungen lieber nicht trifft und ob es Tätigkeiten gibt, die man eher hinten anstellt, als sofort zu erledigen. Es ist menschlich, Präferenzen zu haben und persönliche Prioritäten zu setzen, doch Probleme lösen sich erst, wenn man ihnen die nötige Zeit und Beachtung widmet und sie auch aus der Welt schaffen will.

Zögerliches Verhalten oder nicht zu handeln kann sehr viel Geld und Zeit kosten, besonders wenn es bei lahmen Kühen an den Tag gelegt wird. Nicht sofort zu agieren, wenn eine lahme Kuh im Melkstand oder im Stall erkannt wurde, ist auf vielen Ebenen ineffizient. Um dem Tier rechtzeitig helfen zu können, muss eine solche Kuh am selben Tag in den Klauenstand getrieben werden und nicht erst dann, wenn die Klauenprobleme zur Folge haben, dass die Kuh nicht mehr ausreichend Futter aufnimmt und sich die Milchleistung verringert . Im Allgemeinen ist zu hinterfragen, wodurch die Klauenprobleme entstanden sind und wie Abhilfe geschaffen werden kann. Professionelle Klauenpfleger erheben die Daten hinsichtlich der verschiedenen Erkrankungen, welche auch Rückschluss auf die Optimierungsmöglichkeiten geben können. Ein Betrieb, der mit Klauenerkrankungen zu kämpfen hat, sollte sich hinterfragen, woran dies liegt. Einer der Gründe könnten zu lange Stehzeiten sein, ein Indiz dafür, dass die Liegeboxenqualität nicht stimmt, oder aber auch, dass der Stall überbelegt ist. In Bezug auf Klauengesundheit zahlt es sich ebenso aus, regelmäßige Gangbeurteilungen zu machen. In die tägliche Routine sollte auch der Blick eingebaut werden, die Rückenkrümmung der Kühe zu beurteilen, wenn diese am Fressplatz stehen.

Gezielt Schulungen besuchen

Um weiterhin in dieser schwierigen Branche wirtschaftlich am Ball bleiben zu können, zahlt es sich aus, an Schulungen und Seminaren teilzunehmen. Dies bietet die Chance, auf dem neuesten Stand der Entwicklung und des Wissens in der Landwirtschaft zu bleiben. Außerdem entsteht die Möglichkeit, sich mit Kollegen austauschen zu können und die Lösungsansätze der anderen zu erfahren. Zusätzlich sieht man, dass man nicht der Einzige mit Optimierungspotenzial ist, das kann den Druck nehmen und mehr Leichtigkeit bei der Arbeit erzeugen. Eine Schulung, zum Beispiel im Hinblick auf die praktische Klauenpflege, vertieft das eigene Wissen und das Können, dadurch entstehen neues Selbstbewusstsein und mehr Freude bei der Klauenpflege. Die Hemmschwelle, eine Kuh in den Klauenstand zu treiben, sinkt und dem Tier ist dadurch schneller geholfen. Die Zeit und Kosten, sich weiterzubilden, sind gut investiert und bringen einen und den Betrieb immer weiter.

Fazit

Um Betriebsblindheit zu vermeiden, ist eine bewusste Auseinandersetzung mit sich und den betriebseigenen Abläufen erforderlich. Denn auch wenn man die Probleme, die aus den eigenen Abläufen entstanden sind, kennt und darauf entsprechend zu reagieren weiß, sollte die Angst vor Neuem einen nicht hindern, neue Abläufe auszuprobieren. Es wäre gelogen zu sagen, dass es einfach wäre, neue Routinen zu integrieren und diese nicht auch wieder zu neuen Herausforderungen führen können, aber im Sinne des Tierwohls, der daraus entstehenden Tiergesundheit, der Produktivität und Wirtschaftlichkeit kann es sich nur auszahlen, mutig, flexibel und konsequent zu sein, damit auch die Tiere ihr Bestes dazu beitragen können.

Maria Ehringer

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