Innovationen im Bereich Automatisierung und Tierwohl für den Stall der Zukunft
We innovate animal farming – so lautet das Leitthema der diesjährigen EuroTier, die vom 12. bis 15. November auf dem Messegelände in Hannover stattfindet. Veranstalter ist die DLG (Deutsche Landwirtschafts-Gesellschaft e. V.), die auch das Fachprogramm der EuroTier organisiert. Die Innovationsplattform der globalen Tierhaltungsbranche präsentiert ihren Besucherinnen und Besuchern ein internationales Fachprogramm zu den aktuellen Entwicklungen in der Rinder-, Schweine- und Geflügelhaltung. Drei Unternehmen aus der Stallbaubranche berichten, mit welchen Herausforderungen sie sich heutzutage konfrontiert sehen und wie neuste Technologien – wie KI und Robotertechnik – und neue Stallkonzepte dabei helfen, Tierwohl und Energieeffizienz zu verbessern und Emissionen zu senken. Außerdem: Ein Betrieb in Sachsen geht neue Wege und betreibt seinen Milchviehstall zu hundert Prozent mit selbst erzeugtem Strom.
We innovate animal farming – getreu diesem Motto entwickeln sich drei Unternehmen aus der Stallbaubranche kontinuierlich weiter, um den aktuellen politischen und gesellschaftlichen Ansprüchen nach mehr Tierwohl und mehr Nachhaltigkeit gerecht zu werden. Big Dutchman International, Lely Deutschland und Schauer Agrotronic – drei Firmen mit unterschiedlichen Fachgebieten. Was sie miteinander vereint: Ihr Streben nach Innovationen in der Tierhaltung. Neue Wege geht die Agrarprodukte Kitzen e. G., die Anfang 2024 ihren Milchviehstall zu hundert Prozent mit selbst erzeugtem Strom betreibt.
Mehr Tierwohl mithilfe von Künstlicher Intelligenz
Daniel Holling, Head of Business Development bei Big Dutchman International, sieht Landwirte und Stalleinrichter im Spannungsfeld zwischen Tierwohl, Nachhaltigkeit, -Reduzierung und der Frage nach bezahlbaren Lösungen für die Anforderungen von Politik und Gesellschaft in Deutschland und Teilen Europas. Zudem werde auch der Wettbewerbsdruck aus Asien, insbesondere China, immer präsenter. Um den Forderungen nach mehr Tierwohl in der Geflügelhaltung gerecht zu werden, sind Einzelmaßnahmen allerdings zu wenig, so Holling. „Tierwohl in der Geflügelhaltung erfordert ein ganzheitliches Managementkonzept, das auf den Schutz und die Förderung des Wohlergehens der Tiere ausgerichtet ist. Und so haben wir bei unseren Verbesserungen immer die Klima- und Umweltkontrolle, die Automatisierung und die Gesundheitsüberwachung sowie Fütterungs- und Haltungsmethoden insgesamt im Blick, um die Standards für das Wohlergehen der Tiere kontinuierlich zu verbessern“, erklärt der Head of Business Development bei Big Dutchman International.
Eine weitere Stellschraube sieht Holling bei der Verwendung von KI (Künstlicher Intelligenz) in Geflügelställen. Bereits seit mehr als 40 Jahren entwickle Big Dutchman digitale Technologien für Sensorik, Steuerung und Farm Management systematisch im engen Kundendialog weiter. „Mit BFN Fusion werden die aktuellen Systeme BigFarmNet und amacs mittlerweile in der Cloud zusammengeführt. Dadurch können nun Assistenzsysteme genutzt werden, die mithilfe künstlicher Intelligenz automatisiert überwachen, vergleichen, analysieren und warnen. So werden die Gesundheit und Produktivität der Tiere verbessert und die Wirtschaftlichkeit gesteigert“, sagt Holling. „Auch unser selbstlernendes, energieoptimiertes Klimamanagement ist schon KI-unterstützt.“ So werde das Tierwohl gesteigert und Energie durch sparsame Lüftungsprinzipien gespart.
Mit Robotik Kosten sparen und die Energieeffizienz steigern
Auch Gregor Beckmann, Geschäftsführer Lely Deutschland, sieht die Zukunft in der Automatisierung. Die Akzeptanz dieser Systeme gestalte sich jedoch je nach Wirkungsbereich unterschiedlich. Während bei Neuinvestitionen zu weit über 90 Prozent in Melkroboter investiert werde, liege die Akzeptanz bei der automatischen Fütterung im niedrigen zweistelligen Bereich. „Genauso verhält es sich bei der automatischen Reinigung des Stallbodens. Hier vertrauen viele doch noch auf die einfache Mechanisierung mit Faltschiebern, obwohl Robotik enorm sparsamer ist und günstiger für das Tierwohl arbeitet“, sagt Beckmann. Unabhängig von modernen Tierwohl-Stallkonzepten müsse Technik das Tier unterstützen und das Fernbleiben des Menschen von der Kuh ermöglichen. Lely sei konsequenter Verfechter des freien Kuhverkehrs und des Konzeptes „Management by Exception“, bei dem die Kuh den Menschen nur in Ausnahmefällen benötigt.
„Unser Ansatz bedeutet mehr Platz für die Kühe, ruhigere Tierbewegung und minimaler Platzbedarf für Arbeiten am Tier. Das ist faktisch ein enormer Beitrag zum Tierwohl und zur Kosteneffizienz im Stallbau“, erklärt der Geschäftsführer von Lely Deutschland. Der Einsatz von Robotik kann zudem helfen, den landwirtschaftlichen Betrieb energieeffizienter zu gestallten. „Unser Melkroboter zählt zur absoluten Spitzenklasse bei Energie und Wasserverbrauch. Die jüngste Robotergeneration braucht 35 Prozent weniger Strom als der Vorgänger, der selbst schon 20 Prozent weniger als das Modell zuvor verbraucht hat“, so Beckmann. Robotik sei somit der logische Weg zu mehr Energieeffizienz.
Stallbaukonzepte überdenken und mit regionalen Futtermitteln den CO2-Fußabdruck reduzieren
Energieeffizient sind auch die Mastschweinställe von Schauer Agrotronic. Erreicht wird dies über ein cleveres Stallbaukonzept, dass auch die Emissionen stark senkt. Der emissionsarme Tierwohlstall NatureLine bietet eine Funktionstrennung in die Bereiche Liegen, Fressen und Misten, einen eingestreuten, variablen Liegebereich, Zuluftkühlung, Beschäftigungsmaterial sowie Langtrog-Trockenfütterung. Auch die Ferkelaufzuchtställe verfügen über eine strukturierte Bucht sowie einen Liegebereich mit Festfläche, erklärt Marketing- und Vertriebsleiter Karl-Heinz Denk.
„Die Umweltauswirkungen unseres Stalles können wir mit umfangreichen Daten nachweisen“, so Denk. Der Mastschweinestall NatureLine wurde im Rahmen des österreichischen Projektes SaLu_T – Saubere Luft in der Tierhaltung – als emissionsmindernde Stallform für die Schweinehaltung umfangreich untersucht. Gegenüber herkömmlichen Ställen benötigt der untersuchte Stall zum Beispiel keine Abluftventilatoren. Mit Ausnahme der Zuführung gekühlter Außenluft über einen horizontalen Lüftungsschacht in der Gangmitte im Innenbereich erfolgt die Be- und Entlüftung über natürliche Konvektion. Die Zuluftkühlung geschieht mittels Cool-Pads. „Das Ergebnis ist sensationell und übertrifft alle Erwartungen. Der voll mechanisierte Stall inklusive Fütterung, Einstreusystem und Zuluftkühlung reduziert den Energiebedarf um 80 Prozent“, zeigt sich Denk begeistert.
Auch konnte ein CO2-Fußabdruck der Produktion der Mastschweine im Stall durch eine konsequente regionale Beschaffung der Futtermittel und eine regionale Vermarktung der Schweine von nur 2,4 Kilogramm CO2 pro Kilogramm Lebendgewicht ermittelt werden. Laut Denk sind die massiven Emissionsreduktionen gegenüber konventioneller Stalltechnik mit Vollspaltenboden, einphasiger Fütterung und geschlossenem Stall im Wesentlichen auf folgende emissionsmindernde Maßnahmen in der Stall- und Fütterungstechnik zurückzuführen: Multiphasenfütterung, Außenklima- beziehungsweise Offenfrontstall, Minimierung der Kotflächen und Kot-Harn-Trennung.
Milchviehstall zu hundert Prozent mit selbst erzeugtem Strom betrieben
Ein Praxisbeispiel, wie Energieeffizienz im laufenden Betrieb aussehen kann, liefert der Betrieb, in dem der Landwirt Tim Poppe tätig ist. Die Agrarprodukte Kitzen e. G. ist ein Gemischtbetrieb, der aus zwei Genossenschaften besteht und im Süden von Leipzig wirtschaftet. Seit Anfang Januar 2024 wird der Milchviehstall zu hundert Prozent mit selbst erzeugtem Strom betrieben.
„Energieseitig haben wir seit 2011 eine 500-Kilowatt-Biogasanlage, flexibilisiert auf 1,2 Megawatt. Im Unternehmensverbund haben wir unsere Dachflächen mit Photovoltaik-Anlagen belegt, die eine Leistung von 8.500 Kilowatt Peak aufweisen“, erzählt Poppe. In Leipzig-Großzschocher läuft seit dem Jahr 2020 eine 75-Kilowatt-Güllekleinbiogasanlage, die 2024 durch den Zubau und die Leistungserhöhung um 100 Kilowatt und einen 600-Kilowatt-Stromspeicher zur autarken Versorgung des betriebseigenen „Gläsernen Kuhstalles“ geführt hat. Seit Kurzem gibt es Wechselrichter, die selbst ein „Stromnetz“ bilden können, also schwarzstart- und inselfähig sind. In Kombination mit dem Stromspeicher zum Ausgleich von Leistungsspitzen produziert die 100-Kilowatt-Blockheizkraftwerk von Poppes Betrieb rund 2.000 Kilowattstunden Strom aus Biogas.
„Also haben wir die Möglichkeit in Betracht gezogen, unseren Strom selbst zu erzeugen und zu hundert Prozent auch selbst zu verbrauchen. Dies ist unserer Auffassung nach die einzige echte Möglichkeit, nachhaltig erzeugten Strom netzentlastend zu nutzen“, so Poppe. Am 11. Januar 2024 wurde dann die Milchviehanlage auf autarke Stromversorgung umgestellt. Nach kurzen Startschwierigkeiten läuft der autarke Betrieb seit 27. Februar 2024 störungsfrei.