Stoffwechselerkrankung Milchfieber

9. Januar 2024

Neben der Ketose gehört Milchfieber zu den wichtigsten Stoffwechselerkrankungen unserer Milchkühe. Der bei unseren Hochleistungskühen plötzlich auftretende massive Bedarf an Kalzium für die Milchbildung bringt vor allem ältere Kühe rasch an das Limit dessen, was an Kalzium aus den Knochen mobilisiert werden kann.

So einfach es klingen mag, so einfach ist die Ketosevorbeuge: Eine Kuh, die viel vom richtigen Futter frisst, nimmt viel Kalzium auf. Agrarfoto

Milchfieber (auch Hypokalzämie oder Gebärparese) entsteht durch einen Kalziummangel im Blut. Kalzium wird im Körper unter anderem für eine normale Funktion der Muskulatur benötigt. Daher kommt es bei Milchfieber zunächst zu einem unsicheren, schwankenden Gang. Im Verlauf der Erkrankung kommen die Kühe dann zum Festliegen, oft mit zur Brust eingeschlagenem Kopf. Liegen die Kühe erst einmal fest, können sie nur noch durch eine Infusion behandelt werden, durch die Kalzium direkt ins Blut zugeführt wird. Unbehandelt führt Hypokalzämie innerhalb von wenigen Stunden zum Tod. Die Kosten eines klinischen Milchfieberfalles liegen bei etwa 350 €. Hier kommen zu den Tierarztkosten noch verminderte Milchleistung (bis zu 2 000 kg weniger in der betroffenen Laktation), Fruchtbarkeitsstörungen und vermehrte Anfälligkeit für andere Erkrankungen.

Die Milchkuh muss ihren Stoffwechsel mit der Abkalbung abrupt von einer Ruhephase auf eine Hochleistungsphase umstellen. Der hohe Gehalt an Kalzium, der die Milch unter anderem für den Menschen so interessant macht, wird hier zum Problem für die Kuh. Vor der Kalbung und bevor die Bildung der Biestmilch einsetzt, benötigt sie insgesamt für sich und das heranwachsende Kalb nur etwa 4 – 5 g Kalzium pro Tag. Im Gegensatz dazu werden mit jedem Liter Biestmilch 2,3 g Kalzium ausgeschieden, mit der Milch nach der Biestmilchphase ca. 1,2 g pro l. Der rasch verfügbare Pool von Kalzium in Blut und Gewebe ist mit ca. 16 – 20 g sehr begrenzt und daher rasch erschöpft. Die verstärkte Freisetzung von Kalzium aus den Knochen und die Steigerung der Aufnahme aus dem Darm wird durch Hormone gesteuert.

Das »Hochfahren« dieses Systems benötigt ein bis zwei Tage, bis es richtig läuft. Mit zunehmendem Alter tun sich Kühe mit dieser Umstellung immer schwerer, sodass das klassische Festliegen eher bei Kühen mit mehreren Laktationen vorkommt. Während je nach Bestand etwa 3 – 10 % der Kühe an klinischem Milchfieber erkranken, sind bis zu 50 % der Tiere von den Folgen eines Kalziummangels im Blut betroffen, ohne dass man es ihnen direkt ansieht (subklinische Hypokalzämie). Man bezeichnet die Erkrankung daher auch als Eisbergkrankheit. Auch ein Kalziummangel, der unter der Schwelle der sichtbaren Erkrankung liegt, wirkt sich auf die Muskulatur und das Nervensystem aus. Dadurch fressen die Tiere weniger und der zu Beginn der Laktation ohnehin auftretende Energie- und Mineralstoffmangel wird dadurch noch verschärft. Das Risiko für Verzögerungen im Geburtsablauf, Nachgeburtsverhalten und Störungen der Fruchtbarkeit steigt deutlich an. Ebenso wird die Gefahr größer, an schweren Stoffwechselstörungen und Labmagenverlagerungen zu erkranken. Durch eine beeinträchtige Funktion des Schließmuskels an den Zitzen erhöht sich auch das Risiko für Euterentzündungen.

Kalziummangel abklären

Wenn im Bestand eines oder mehrere dieser Krankheitsbilder gehäuft auftreten, ist es dringend angeraten, das Vorkommen von Kalziummangel kurz vor und in den ersten Tagen nach der Abkalbung abzuklären. Dies kann vom Tierarzt über Laboruntersuchungen durchgeführt werden. Wird ein erhöhtes Risiko für Kalziummangel festgestellt, sollten vorbeugende Maßnahmen eingeleitet werden. Es ist davon auszugehen, dass die wirtschaftlichen Verluste durch subklinische Hypokalzämie diejenigen des klassischen Milchfiebers bei weitem übersteigen, weshalb sich Vorbeugemaßnahmen in jedem Fall wieder bezahlt machen.

Zunächst einmal ist es wichtig, für eine möglichst hohe Futteraufnahme um den Zeitpunkt der Kalbung herum zu sorgen. Nur eine Kuh, die gut frisst, hat überhaupt eine Chance, genug Kalzium aufzunehmen. Eine Verfettung der Trockensteher ist unbedingt zu vermeiden, da überkonditionierte Kühe weniger fressen als ihre schlanken Kolleginnen. Außerdem haben sie einen noch höheren Kalziumbedarf und noch größere Probleme mit der Kalziummobilisierung. Verfettete Kühe haben ein 4-fach erhöhtes Risiko an Milchfieber zu erkranken. Beispiele für andere Faktoren, die die Futteraufnahme verschlechtern, sind Überbelegung, mangelhafte Wasserversorgung und abrupte Futterumstellung.

Alle weiteren möglichen Vorbeugemaßnahmen zielen auf eine Erhöhung der Kalziumverfügbarkeit durch eine verbesserte Aufnahme im Darm und eine rasche Freisetzung im Knochen ab. Ein begrenztes Kalziumangebot in der Trockenstehphase kann die Kalziummobilisierung trainieren. Auf eine gute Phosphor- und Magnesiumversorgung ist ebenfalls zu achten. Einige Forscher sehen sogar den Magnesiumgehalt der Ration als einen der wichtigsten Faktoren bei der Entstehung der Hypokalzämie an. Der Kaliumgehalt im Futter sollte dagegen niedrig sein. Natürlich muss das Kalziumangebot sofort nach der Abkalbung an den Bedarf der laktierenden Kuh angepasst werden.

Leicht verfügbar

Die Verabreichung von leicht verfügbaren Kalziumsalzen in der Zeit um die Geburt ist die in deutschen Beständen am häufigsten durchgeführte Vorbeugemaßnahme gegen klinisches oder subklinisches Milchfieber. Hierfür stehen mittlerweile zahlreiche Produkte zur Verfügung. Diese werden entweder als Bolus oder flüssig bzw. als Gel über das Maul eingegeben. In der Praxis hat sich aufgrund der einfachen Handhabung die Verabreichung von Boli am weitesten durchgesetzt. Diese ist vor allem bei Kühen mit erhöhtem Risiko für eine Hypokalzämie empfehlenswert (Kühe mit mehr als zwei Kälbern, mit Vorerkrankungen, gestörtem Geburtsverlauf oder Milchfieber in der vorhergehenden Laktation). Die erste Gabe sollte einige Stunden vor der Geburt erfolgen, zwei weitere unmittelbar nach der Geburt und 12 – 15 Stunden später. Die Gabe von Kalziumpräparaten unter die Haut oder in die Vene wirkt nur sehr kurzfristig und ist daher zur Vorbeuge nicht gut geeignet.

In den letzten Jahrzehnten ist das Konzept der leichten Ansäuerung des Blutes der Rinder in den letzten zwei Wochen vor der Abkalbung eingeführt worden. Hierdurch werden Regelmechanismen in Kraft gesetzt, die Kalzium und Phosphor aus den Knochen freisetzen. Dies »trainiert« sozusagen die Kalziumbereitstellung vor der Kalbung. Erreicht wird dies durch die Zugabe von sauren Salzen zu einer möglichst kaliumarmen Ration. Der Einsatz erfordert allerdings eine genaue Kontrolle der Futterration und eine Überprüfung der Reaktion der Kühe anhand von Harnproben. Da der Kalziumstoffwechsel durch diese Maßnahme stark angeregt und überschüssiges Kalzium über den Harn ausgeschieden wird, muss dieses Verfahren mit einer kalziumreichen Ration verbunden werden.

Auch mit einer Vitamin D3-Gabe sieben Tage vor dem Abkalbetermin kann der Kalziumstoffwechsel »hochgefahren« werden. Allerdings sollte der voraussichtliche Geburtstermin möglichst genau bekannt sein, da eine zu zeitige Verabreichung die Gefahr der Gebärparese erhöhen kann. Eine Wiederholung der Injektion, die nötig wird, falls die Kuh nicht innerhalb einer Woche nach der Behandlung kalbt, erhöht das Risiko von möglicherweise gefährlichen Gewebsverkalkungen.

Dr. Ingrid Lorenz
Tiergesundheitsdienst Bayern e.V

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