Anlass zur Sorge?
Nach der erfolgreichen Bekämpfung der Rindertuberkulose in den 1950er- und 1960er-Jahren war die Krankheit lange in den Hintergrund getreten. Seit einigen Jahren aber häufen sich wieder die Fälle. Gerade 2021 gab es in Bayern Erkrankungen in Familien von Milcherzeugern, die aufhorchen lassen. Milchpur hat dazu mit Dr. Michael Köstler und Dr. Michael Siebenhütter von der Bayerischen Tierseuchenkasse gesprochen.
Milchpur: Herr Dr. Köstler, Herr Dr. Siebenhütter, 2021 wurden in Oberbayern Fälle von Rindertuberkulose bekannt, bei denen auch Menschen, Erwachsene wie Kinder, erkrankt sind. Gibt es Anlass zur Sorge, dass die Gefährdung der menschlichen Gesundheit durch die Rindertuberkulose zunimmt?
Dr. Köstler: Nein, es gibt in Bayern keinen Grund, sich vermehrt über die Rindertuberkulose Sorgen zu machen. Grund zur Wachsamkeit gibt es aber auch in Bayern. Seit Jahren werden vor allem in bestimmten Regionen des Allgäus vereinzelt Fälle von Rindertuberkulose festgestellt. Hier gibt es insbesondere Hinweise auf mögliche Infektionen der Rinder durch Kontakt mit infiziertem Rotwild.
Dr. Siebenhütter: Weltweit gesehen ist die Tuberkulose bei Mensch und Rind noch immer sehr weit verbreitet. Eine Verbrauchergefährdung über die Milch besteht im Übrigen nicht, da Rohmilch in den Molkereien pasteurisiert wird und dadurch die Tuberkuloseerreger abgetötet werden.
Milchpur: Wenn das allgemeine Gefahrenpotenzial als gering einzustufen ist, wo liegen die Probleme in dieser Entwicklung?
Dr. Köstler: Bei der Tuberkulose handelt es sich um eine Zoonose, das heißt, dass die Erkrankung sowohl vom Rind auf den Menschen als auch vom Menschen auf das Rind übertragen werden kann. Durch regelmäßige flächendeckende Untersuchungen und Ausmerzung der infizierten Rinder konnte die Rindertuberkulose in der Vergangenheit erfolgreich getilgt werden. Während die Überwachung der Tuberkulose-Freiheit bei den Rindern seither grundsätzlich über die Schlachttieruntersuchung erfolgt, wurden die Reihenuntersuchungen beim Menschen eingestellt.
Dr. Siebenhütter: Bis zur Feststellung der Rindertuberkulose im Rahmen der Schlachtung vergeht in der Regel eine lange Zeit, oft Jahre. Vorsorglich wäre es daher sinnvoll, in Regionen, in denen bekanntermaßen Tuberkulose beim Rotwild vorkommt und Weide- oder Alpwirtschaft betrieben wird, risikoorientiert Rinderbestände regelmäßig zu untersuchen. Die Erfahrung hat gezeigt, dass vor allem Rinderbestände, in denen schon einmal ein Tuberkulosefall festgestellt wurde, nach einer bestimmten Zeit nachuntersucht werden sollten.
Milchpur: Also gilt das Motto »wehret den Anfängen«? Die wirtschaftlichen Schäden für einen betroffenen Betrieb können ja erheblich sein, bis zum Totalverlust der Tiere. Worauf hat sich ein betroffener Milcherzeuger einzustellen?
Dr. Siebenhütter: Wird Rindertuberkulose in einem Bestand festgestellt, werden die betroffenen Tiere getötet und unschädlich beseitigt. Der Rest der Herde unterliegt einer Bestandssperre, die seit Inkrafttreten des EU-Tiergesundheitsrechtsaktes im Jahr 2021 erst durch zwei negative Untersuchungen im Abstand von sechs Monaten beendet werden kann. Das bedeutet, dass der Betrieb mindestens ein Jahr gesperrt bleibt und der Status »frei von Tuberkulose« ruht. Die Milch der gesperrten Betriebe könnte nach EU-Recht zwar geliefert werden, aber keine Molkerei will Milch von einem nicht freien Betrieb, da Produkte aus Milch nicht freier Betriebe nicht exportiert werden können. Früher betrug die Sperre nur vier Monate, da konnten die Molkereien den Landwirten zumindest einen Teil des früheren Milchgeldes als Ausgleich bezahlen. Bei einer Sperre von einem Jahr wird das vermutlich aber schwierig.
Dr. Köstler: Für den Verlust der Tiere erhält der Landwirt von der Tierseuchenkasse eine Entschädigung in Höhe des gemeinen Wertes der Tiere und es werden die Tötungskosten erstattet. Außerdem kann bei kompletten Bestandsräumungen grundsätzlich ein bestimmter Betrag für die Kosten der Reinigung und Desinfektion der Ställe gezahlt werden. Im Übrigen entfällt im Falle von an Rindertuberkulose zu Verlust gegangenen Rindern der Eigenbeitrag zu den Kosten der Tierkörperbeseitigung.
Gegen Ertragsschäden, wie z.B. den Ausfall des Milchgeldes, müssen Landwirte gegebenenfalls privat vorsorgen, z.B. über den Milchförderfonds Bayern oder ein privates Versicherungsunternehmen.
Milchpur: Neben dem Testen von Tieren ist die Schlachttieruntersuchung immer noch eines der wertvollsten Instrumente, um eine Tuberkuloseinfektion zu erkennen. Wie schätzen Sie aus heutiger Sicht die Qualität der Tests ein, die zur Verfügung stehen, im Vergleich zur Wirksamkeit der Schlachttieruntersuchung?
Dr. Köstler: Die Schlachttieruntersuchung ist eine vergleichsweise kostengünstige Untersuchung, die ohnehin an jedem Schlachtkörper durchgeführt wird. Allerdings ergeben sich wie gesagt aus der Schlachttieruntersuchung meist erst sehr spät Hinweise auf eine Ausbreitung der Tuberkulose im Herkunftsbestand des Schlachttieres. Bei einem positiven Befund am Schlachttier wird der gesamte Herkunftsbestand mittels Tuberkulin-Hauttest untersucht, d.h. man spritzt Tuberkulin in die Haut der Rinder und misst drei Tage später die Hautdicke an der Injektionsstelle. Hat die Hautdicke über einen bestimmten Grenzwert zugenommen, gilt das betreffende Tier als tuberkuloseverdächtig, wird getötet und mittels PCR-Test nachuntersucht. Ein in Neuseeland sehr erfolgreich eingesetzter Bluttest hat sich in Bayern unter Praxisbedingungen als nicht zuverlässig genug herausgestellt.
Dr. Siebenhütter: Bei der Schlachttieruntersuchung wurden früher routinemäßig Organe angeschnitten, um mögliche Veränderungen im Inneren des Organs festzustellen. Seit einiger Zeit werden Organe großenteils nur noch in Augenschein genommen, nach möglichen Veränderungen abgetastet und nur angeschnitten, wenn beim Abtasten Veränderungen auffallen. Kleine Tuberkuloseherde können da mitunter übersehen werden, was den Wert der Schlachtkörperuntersuchung für die Tuberkulose-Diagnostik einschränkt.
Milchpur: Kann der Landwirt auch selbst auf seinem Betrieb etwas tun, um eine Tuberkulose-Infektion zu erkennen? Worauf sollte achten?
Dr. Köstler: Infizierte Tiere fallen in der Regel nicht durch eindeutige Krankheitsanzeichen auf. Häufig wird die Tuberkulose-Erkrankung erst im Rahmen der Schlachttieruntersuchung festgestellt. Abgangsursache dieser Tiere sind meist verminderte Milchleistung und Abmagerung. Insbesondere Landwirte, die Rinder zur Sömmerung auf Almen und Alpen mit möglichem Rotwildkontakt auftreiben, sollten hierauf achten.
Milchpur: Welche Quellen empfehlen Sie, wenn sich Milcherzeuger über die Rindertuberkulose und deren mögliche Folgen für den eigenen Betrieb informieren wollen?
Dr. Siebenhütter: Nützliche Informationen über die Rindertuberkulose findet man auf den Webseiten des Bayerischen Landesamtes für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) und des Friedrich-Loeffler-Instituts (FLI) sowie beim örtlich zuständigen Veterinäramt.
Milchpur: Gibt es etwas, was Sie unseren Lesern abschließend mit auf den Weg geben wollen?
Dr. Köstler: Es gibt bezüglich der Rindertuberkulose keinen Grund zu übermäßiger Sorge. Man sollte aber daran denken, dass es die Krankheit noch gibt und seinen Rinderbestand regelmäßig untersuchen lassen, wenn Tiere sich auf Sommerweiden mit möglichem Rotwildkontakt befunden haben. Je eher eine mögliche Erkrankung festgestellt wird, desto weniger kann sie sich im Bestand ausbreiten und desto geringer sind die damit verbundenen Schäden.
Milchpur: Vielen Dank für das Gespräch!