Milch und Käse trifft auf kreative Konsumenten
Hanna Kehl, Insights Director bei der GfK, will den kreativen Konsumenten identifiziert haben, der den Markt der Gelben und Weißen Linie durch sein Verhalten prägt. In ihrem Vortrag auf dem 15. Molkereikongress in München beleuchtet sie das Marktgeschehen und damit das Konsumentenverhalten.
Bei Konsumgütern des täglichen Bedarfs, die schnell gekauft und verbraucht werden (FCMG = Fast Moving Consumer Goods), sind die Verbraucherpreise seit April 2022 kontinuierlich gestiegen. Wie Hanna Kehl feststellt, haben die Konsumenten weniger FCMG-Produkte, also Produkte des täglichen Bedarfs, gekauft. Dennoch sei deren Umsatz gestiegen, dank höherer Preise. Vor allem Discounter und Drogeriemärkte konnten verlorene Marktanteile zu Lasten des Fachhandels zurückgewinnen.
Handelsmarken auf dem Vormarsch
Die Handelsmarken gewannen hinzu, während die Marken durch Promotions, eine eigene Form des Marketings, die Verluste im Basisgeschäft kompensierten. Bei Betrachtung der Zahlen wird deutlich, dass sowohl bei der Gelben als auch bei der Weißen Linie die Absatzmenge im MAT 02/2023 im Vergleich zum Vorjahr zurückgegangen, der Anteil der Handelsmarke am Absatz im gleichen Zeitraum jedoch gestiegen ist, besonders bei der Weißen Linie. Allerdings hat die Handelsmarke beim Marktanteil aktuell (MAT 02/2023) noch nicht das Niveau von MAT 02/2020 erreicht.
Trends im Aufwind
Eine positive Entwicklung sieht Kehl auch bei vielen Trendprodukten. Im Vergleich zu MAT 02/2020 (Basiswert 100) stiegen laut Kehl aktuell die Absatzmengen in der Weißen Linie bei
– pflanzlichen Produkten auf 185,
– Eiweißprodukten auf 158 (leichter Rückgang gegenüber dem Vorjahr),
– Bio-Produkten auf 123 (Rückgang gegenüber Vorjahr) und
– laktosefreien Produkte auf 120.
Noch positiver ist die Entwicklung bei der Gelben Linie. Im Vergleich zu MAT 02/2020 (Basiswert 100) stiegen laut Kehl in der Gelben Linie aktuell die Absatzmengen von
– pflanzlichen Produkten auf 317,
– Heu- und Weidemilch auf 190 und
– Bio-Produkte auf 156.
– Bei Eiweißprodukten ist der Absatz auf 95 gesunken.
Bio bei pflanzlichen Produkten gefragt
Bei den tierischen Produkten ist Bio im Gegensatz zu den pflanzlichen Produkten wenig gefragt. So steigt die Bio-Menge in der Weißen Linie bei den pflanzlichen Produkten seit MAT 02/2020 kontinuierlich an. Bei den tierischen Produkten hingegen sinkt die verkaufte Menge in der Weißen Linie seit MAT 2020. In der Gelben Linie liegt der Bioanteil bei SB-Käse sowohl bei den pflanzlichen als auch bei den tierischen Produkten auf niedrigem Niveau, wobei Käse auf pflanzlicher Basis in vergleichbar geringen Mengen abgesetzt wurde. Im Vergleich zum MAT 02/2022 ging der Absatz von Käse tierischer Herkunft im MAT 02/2023 um 1,7 % zurück. Käse pflanzlicher Herkunft wurde um 0,4 % weniger nachgefragt.
Preisbewusste Konsumenten
Konsumenten achten auf den Preis. Je größer der Preisunterschied, desto preisbewusster kaufen die Konsumenten. Dies gilt auch für die in der Regel teureren Bioprodukte der Molkereibranche und auch für das gesamte Frischesortiment. Kehl hat die Durchschnittspreise für das Jahr 2022 erhoben und festgestellt, dass der Preisabstand pro Einheit bei Obst und Gemüse am geringsten, während er bei Fleischwaren am größten war. Erstaunlich, dass in der Weißen Linie im Jahr 2022 Bio-Ware günstiger war als konventionell erzeugte Ware.
In diesem Zusammenhang nannte Kehl einprägsame »Schnapszahlen«. Danach »essen die Deutschen im Durchschnitt 44 kg Fleisch und 33 kg Wurst“. Auch wenn die Menge in der Weißen Linie in MAT 02/2021 gegenüber dem Vorjahr um 3,6 % zurück ging, »gibt es positive Entwicklungen«, so Kehl. Sie nannte folgende Produkte, deren Absatz gestiegen ist:
– Kaffeegetränke um 0,9 %,
– Naturjoghurt um 1,2 % und
– gekühlte Milchsnacks um 2,0 %,
während ultrahocherhitzte Milch um 2,1 % weniger verkauft wurde.
Positiv entwickelte sich der Marktanteil der Gelben Linie im gleichen Zeitraum, obwohl der Absatz um 1,7 % zurückging. So stieg der Absatz von
– traditionellem Frischkäse um 3,2 %,
– Grillkäse um 3,7 % und
– Mozzarella (ohne Back- und Reibkäse) um 1,2 %.
Der Absatz von Hart- und Schnittkäse ging dagegen um 1,1 % zurück.
Kreative Konsumenten
Einen gravierenden Unterschied will Kehl im Einkaufsverhalten der Konsumenten seit den Jahren 2018 und 2019 ausgemacht haben. In den Jahren vor Corona, Ukraine-Krieg und steigender Inflation habe man beim Lebensmitteleinkauf auf Qualität und Nachhaltigkeit gesetzt, nach dem Motto: »Ich will mir selbst etwas Gutes tun, aber auch an andere und den Planeten denken.«
Dies änderte sich in den Jahren 2020 und 2021 mit der Corona-Krise. Nachhaltigkeit und vor allem hochwertige Produkte rückten beim Einkauf in den Vordergrund. Jetzt galt laut Kehl die Devise: »Das will ich mir leisten, denn es gibt schon genug Einschränkungen.«
Schließlich das Jahr 2022: Es brachte den Krieg in der Ukraine. Er heizte die Inflation an. Die Preise stiegen massiv. Preisbewusstsein und Pragmatismus dominierten nun das Mindset, ein von Kehl verwendeter englischer Begriff, der sich vielfältig übersetzen lässt und so viel bedeuten kann wie Denkweise, Einstellung, Gesinnung, Haltung, Lebensphilosophie, Mentalität, Orientierung und auch Weltanschauung. Die Konsumenten jedenfalls passten sich den veränderten Bedingungen an nach dem Motto »Ich finde die Preise unverschämt und kaufe vernünftig ein.« Durch Planung und Vorbereitung reduzierten sie den Kauf überteuerter Lebensmittel oder verzichteten ganz auf diese.
Kehls Fazit: »In jeder Krise setzen die Konsumenten Prioritäten und entwickeln ihr Einkaufsverhalten weiter«. Standen vor der Corona-Krise in den Jahren 2018 und 2019 Qualität, Nachhaltigkeit, Plastikreduktion und der Kauf innovativer Lebensmittel im Vordergrund, änderte sich dies mit der Corona-Krise der Jahre 2020 und 2021. Häuslichkeit, Vorratshaltung und Verwöhnmomente standen in diesen Jahren im Vordergrund. Mit dem UkraineKrieg im Jahr änderten die Konsumenten ihr Einkaufsverhalten erneut. Sparsamkeit und Planung standen nun im Vordergrund, so Kehl.
Markenartikler unter Druck
Das veränderte Kaufverhalten stellt vor allem die Markenhersteller vor Herausforderungen. Die Hersteller stehen im Preiskampf mit den Handelsmarken. Um bestehen zu können, müssen sie ständig werben. Dies führt fast zwangsläufig zu einer Werbespirale, die Unternehmen in fast allen Kategorien unter Druck setzt. Um dem zu entkommen, müssen sie innovativ sein, sich vom Wettbewerb differenzieren und die Besonderheiten ihrer Marke kommunizieren. Am Ende ihres Vortrags zieht Kehl das Fazit: »Die größte Chance für Handelsmarken ist jetzt.« Sie prophezeite den Markenartiklern: »Für sie wird es (noch) schwieriger, jene Käufer zurückzugewinnen, die mit der Handelsmarke zufrieden sind und den Nutzen der Marke vergessen haben«.
Reinhold S. Bonfig