Gesunde Klauen – gesunde Kühe
Das gesunde Fundament einer Kuh ermöglicht erst ihre Leistungsbereitschaft und muss darum im Fokus des Gesundheitsmanagements stehen.
Gesunde Füße haben eine widerstandsfähige Hornkapsel mit einer geraden Wandplatte, eine tragfähige Sohle ohne Bluteinschlüsse oder gar Geschwüre, ausreichend hohe Trachten an der Innenklaue (3,5 bis 4,5 cm) und – abhängig von der Vorderwandlänge – auch eine optimale Winkelung (zwischen mind. 45° bis 60°), keine Horn- und Hautveränderungen (insbesondere im Sinne der Mortellaroschen Krankheit) und zeigen keine weiteren Anzeichen einer Erkrankung. Die Hornhärte ist weitgehend genetisch bedingt und zudem abhängig von Hygiene und Feuchtigkeit in der Haltungsumgebung sowie einer artgerechten Fütterung.
Die Anzahl der Hornröhrchen im Sohlenbereich sowie ihr Markanteil beeinflussen maßgeblich die Widerstandsfähigkeit. Das Wandhorn wird bei gesunder Lederhaut über lange Wachstumsstrecken optimal mit Nährstoffen versorgt und bildet einen robusten Hornschuh. Grundsätzlich wird das Hornwachstum genetisch bedingt sein, übermäßige Belastungen durch unbequeme, harte Böden oder durch übermäßiges Wachstum von minderwertigem Horn bei Klauenrehe verändern die Hornbildung. Zudem bewegt sich eine Kuh – auch in der Anbindehaltung – stets schwankend von einer Hintergliedmaße auf die andere. Beim Vorwärtsschreiten zeigen Slow-Motion-Aufnahmen auf ebenem Untergrund, dass beim Auffußen der Ballenbereich und anschließend der Sohlenbereich der äußeren Klaue als erstes in die Belastung kommen. Dadurch ergibt sich eine höhere Druckbelastung vor allem an der hinteren Außenklaue.
Auf einem nachgiebigen Untergrund könnte diese Außenklaue stärker in den Untergrund einsinken, die Innenklaue kommt so ebenfalls in die Belastung. Auf hartem und planem Stallboden fehlt dieser Ausgleich, die Außenklaue wird sozusagen überbelastet.
Druckbelastung nimmt zu
Eine starke Beanspruchung führt – wie an den Händen des Menschen – zu verstärktem Wachstum der Hornschicht. Die Außenklaue wird also immer höher und vorne länger, die Druckbelastung auf den Ballen der Außenklaue nimmt übermäßig zu. Die Kehlung wächst komplett zu, Rusterholzsche Sohlengeschwüre können entstehen. Der Hornabrieb wird entscheidend vom Untergrund bestimmt, aber auch die Hornhärte hat einen gewissen Einfluss – zu hartes Horn schmirgelt stark abreibender Boden rascher ab, zu weiches Horn bietet ebenfalls wenig Widerstand. Viel entscheidender für widerstandsfähiges Sohlenhorn sind jedoch die Anzahl der Hornröhrchen und der Markanteil in den Röhrchen, der nicht durch Klauenbäder etc. beeinflusst werden kann.
Klauenprobleme sind Haltungsprobleme
Im Zuge der verstärkten Nutzung von Rindern zur Milch- und Fleischproduktion werden die Tiere unter Bedingungen gehalten, die oftmals nicht artgerecht sind und damit auch die Ausbildung und Erhaltung gesunder Klauen negativ beeinflussen. Die Einwirkung von Gülle, einer Mischung aus Kot und Urin, greift die Haut stark an, da die Bakterien im Kot aus dem Harnstoff des Urins Ammoniak freisetzen – so wird die Hautbarriere zerstört und Schmutz und vor allem krankmachende Keime können in tiefere Hautschichten eindringen (siehe »Mortellarosche Krankheit, Phlegmone«).
In der freien Natur hat eine Kuh mit jedem Schritt in einen nachgiebigen Untergrund eine abreibende Klauenpflege, durch Erde und Gras werden die Klauen oberflächlich von Keimen gereinigt. Die Kühe sind nicht dauerhaft gezwungen, in Gülle zu stehen. Auf selbstgewählten Liegeplätzen ruhen Kühe ausreichend, die Klauen trocknen und werden entlastet. Die Nahrungsaufnahme erfolgt kontinuierlich über 24 Stunden, die Nahrung ist nicht auf Hochleistung ausgelegt. Sozialkontakte erfolgen innerhalb der eigenen Art, Ausweichverhalten ist weitgehend problemlos möglich.
Im Vergleich dazu sind Milchkühe und Mastbullen meist nicht unter optimalen Bedingungen aufgestallt. Beengte Platzverhältnisse, plane Laufflächen, unzureichende Liegeflächen, ungünstige Laufganggestaltung, Hygienemangel, Überbelegung, nicht immer wiederkäuergerechte Fütterung, Fehler im Umgang mit den Tieren – die Palette der negativen Einflüsse ist lang. Die Klauengesundheit ist von all diesen Faktoren abhängig und stellt somit einen wichtigen Indikator für Probleme der Tiere mit ihrer Umwelt dar. So kann beim Erkennen von Klauenerkrankungen stets auch ein immenser Nutzen hinsichtlich der tiergerechten Anpassung der Haltung gewonnen werden – und gesunde Kühe können eine optimale Leistung bringen.
Bedeutende »Nebenkosten«
Keine Abgangsursache ist im Stall in den letzten 20 Jahren so angestiegen wie die durch Klauen- und Gliedmaßenprobleme. Die Klauengesundheit wird ganz besonders durch die Art der Laufflächen beeinflusst, insbesondere wenn die Hygiene und die Abnutzung nicht optimal sind. Die Tiere sollten dem Landwirt eine optimale Milchleistung bringen, werden aber durch Probleme, die in den meisten Fällen die hintere Außenklaue betreffen, daran gehindert. Klauenprobleme verursachen Schmerzen und Schmerzen verhindern eine optimale Leistung. Milchrückgang, undeutliche Brunsterscheinungen aufgrund der Schmerzen, Gewichtsverluste – all diese indirekten Kosten fallen bei Gliedmaßenerkrankungen schwer ins Gewicht. Geschätzte Kosten belaufen sich auf durchschnittlich etwa 50 bis 640 € pro klauenkrankem Tier, unter Berücksichtigung aller direkten und indirekten Kosten. Oftmals wird an der Klauenpflege und damit an der Klauengesundheit gespart. Diese Milchmädchenrechnung kann aber nicht aufgehen, da nur ein gesundes Fundament eine hohe Leistung und eine lange Nutzungsdauer ermöglicht.
Enorme Bedeutung
Die wirtschaftliche Bedeutung der Klauengesundheit kann in einem Milchviehbetrieb gar nicht überschätzt werden. Durch Klauenerkrankungen »unfreiwillig« abgegangene Tiere verursachen hohe Einbußen für die Betriebe. Dabei ist die Ergänzung des Kuhbestandes neben den Kosten für Futter und Arbeit einer der wichtigsten Kostenfaktoren in der Milchproduktion. Remontierungsraten über 40 % sind leider keine Seltenheit – hier gibt es für die Betriebe auf dem Gebiet der Klauengesundheit erhebliche Reserven. Wird die Remontierungsrate von 40 auf 30 % in einer 125-Kuh-Herde gesenkt, können rein rechnerisch 15 000 Euro freigestellt werden.
Die Bestandsergänzungskosten der Milchviehherde bilden nach den Futterkosten den zweitgrößten Block der variablen Kosten. Umso bedeutsamer ist es, die Klauengesundheit einer Milchviehherde stets auf dem optimalen Stand zu halten. Möglich ist dies durch die regelmäßige Beurteilung von Lahmheiten. Diese so einfach erscheinende Möglichkeit der Kostenreduktion wird in den allermeisten Betrieben sträflich vernachlässigt. Nur eine frühzeitige Erkennung einer »beginnenden« Lahmheit senkt die Behandlungskosten, erhält die Milchleistung und minimiert die Folgekosten. Im Zusammenhang mit den Klauenerkrankungen sind entsprechende Bewertungen der Klauengesundheit im Herdenverband zu empfehlen.
Die Abgabe der Verantwortung für klauengesunde Tiere ausschließlich an den zuständigen Klauenpfleger ist in keinem Falle eine ausreichende Maßnahme. Denn auch ein hervorragend arbeitender Klauenpfleger kann Kühe, die ihm »zu spät« vorgestellt werden, nicht innerhalb kurzer Zeit wieder auf die Beine und in eine volle Milchleistung bringen.
Schleichende Verschlechterung
Eine offensichtlich lahmende Kuh hat bereits mehrere Tage, meist Wochen hinter sich, in denen die Klauenkrankheit sich schleichend verschlechtern konnte. Zu Beginn sind wirtschaftliche Verluste durch die entstehenden Schmerzen noch gering, diese werden aber immer schwerwiegender. Durch die Praxis, lahmende Kühe vor allem beim Zutrieb zum Melken zu beobachten, werden nahezu immer nur die schwer lahmenden Tiere erkannt, da diese beim Zutrieb zurückbleiben. Werden diese nun so spät der Klauenpflege zugeführt, wird die Klauenkrankheit weit fortgeschritten sein. Die Behandlung dauert länger, es werden mehrere Nachbehandlungen nötig, die Heilung ist eventuell sogar schon »unmöglich«. Die Milchleistung ist inzwischen dauerhaft gesunken und erreicht auch nach Ausheilung nicht mehr die volle Leistung, die Brunstbeobachtung ist dauerhaft erschwert – diese Verlustliste wird immer länger. Somit ist es unabdingbar, im Betrieb die Lahmheitserkennung zu verbessern. Mit relativ einfachen Maßnahmen werden dann Tiere frühzeitiger »erkannt«, der Klauenbehandlung zugeführt und damit in ihrer bestmöglichen Leistung gehalten. Die Lahmheits-
beobachtung ist für die Wirtschaftlichkeit des Betriebes ebenso bedeutsam wie die Brunsterkennung und die Überwachung der Eutergesundheit. Dies beweisen die Abgangszahlen.
Bewegung beurteilen
Ausgehend vom sogenannten Locomotion Score (nach Sprecher et al, 1997) kann die Rückenkrümmung zur Beurteilung der Gangnote eines Tieres herangezogen werden.
Während einerseits die Einzeltierbeobachtung insbesondere in Milchviehherden vor allem aus Zeitmangel immer problematischer wird, nehmen andererseits behandlungsbedürftige Klauenschäden immer mehr zu. Hier bietet sich eine regelmäßig durchgeführte, gezielte Beurteilung der Bewegung der Kühe geradezu an, um Problemfälle gezielt zu erkennen. Diese können dann umgehend einer Behandlung zugeführt werden. Dabei sollten folgende Beobachtungskriterien einbezogen werden (nach https://elearning. klauenfitnet.de/elearning/modul-2b/):
– Geschwindigkeit
– Bewegungsrhythmus
– Schrittlänge
– Belastung der Gliedmaßen
– Rückenlinie
– Kopfhaltung
Die Durchführung sollte jederzeit, für nahezu jedermann, innerhalb relativ kurzer Zeit und reproduzierbar möglich sein, unabhängig vom Herausnehmen einzelner Tiere aus dem Herdenverband. Derartige Beobachtungen können z.B. am Ausgang aus dem Melkstand durchgeführt werden. Hier gehen die Tiere meist zügig und zielgerichtet in kleineren Gruppen, häufig in einer Reihe, eine gewisse Strecke auf relativ ebenem Boden. Die Beobachtungszeit kann, abhängig von den Melkzeiten, problemlos festgelegt werden. Einen ersten Überblick kann man sich auch bei der Beurteilung der Rückenkrümmung und der Beobachtung der Gliedmaßenstellung und insbesondere von Entlastungshaltungen am Fressgitter verschaffen. Für die Bewegungsbeurteilung wird benötigt:
– Schutzkleidung
– Schreibunterlage und Stift
– Papier
– zwei Personen
Hinsichtlich der eintretenden wirtschaftlichen Verluste wurde im Rahmen einer gezielten Herdenuntersuchung mit diesem Locomotion Score ermittelt, wie hoch – abhängig vom Lahmheitsgrad – der Effekt auf die Fruchtbarkeit der betroffenen Tiere war.Ähnliche Untersuchungen hinsichtlich der Verminderung der Milchleistung wurden in der gleichen Herde durchgeführt und sind als Rechenbeispiel für wirtschaftliche Verluste im Internet zugänglich (www.de.availa4.com). Die bei den Einzeltieruntersuchungen und –behandlungen erhobenen, unbedingt zu dokumentierenden Daten geben Aufschluss über die einzelnen, vorgefundenen Erkrankungen sowie die Erkrankungshäufigkeit in der Herde und erlauben dadurch Rückschlüsse auf die Ursachen (z.B. Fütterungsrehe, Belastungsrehe, digitale Dermatitis, Hygieneprobleme usw.). Somit werden gezielte Prophylaxemaßnahmen möglich. Eine Sanierung der Herde hinsichtlich Lahmheiten sollte umgehend erfolgen. Es sollten aus wirtschaftlichen Überlegungen nicht mehr als 10 % der Tiere einen Lahmheitsgrad von 2 und mehr aufweisen; Kühe ab einem LS 3 müssen umgehend in den Klauenstand.
Auszug aus: »Die Sprache der Kuh«